Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
geheim war. Ich ahnte, dass eine Indiskretion die Person, die die Figur verkaufen wollte, in Gefahr bringen würde.«
»Und jetzt wissen Sie, wer es ist?«
»Ich war im Park, um die Villa Henriette zu überwachen, als der ›Einbrecher‹ dort eindrang. Ich habe gesehen, wie er hinausrannte. Sein Schal fiel herunter, ich habe sein Gesicht gesehen. Ich bin der Königin niemals begegnet, aber ich habe sie aufgrund des Fotos wiedererkannt.«
Wenji erhob sich und zeigte auf ein großes, gerahmtes Bild an der Wand. Darauf war das Foto der Königin Phuong mit ihrem Sohn zu sehen, das Paul d’Armand gemacht hatte.
»Das ist nicht das offizielle Foto des Kaisers, doch es ist das, welches ich bevorzuge.«
»Wissen Sie, warum die Königin die Figur verkaufen wollte?«, fragte Tam mit gedämpfter Stimme.
Wenji antwortete, ohne seinen Blick von dem schönen Porträt der Königin zu wenden.
»Ich musste nicht lange nachdenken, um dahinterzukommen. Die Königin ist in ein Komplott gegen die Franzosen verwickelt, ganz sicher. In der Stadt kursieren bereits Gerüchte.«
Mit gerunzelter Stirn und hinter dem Rücken verschränkten Händen ging er nervös auf und ab, als wäre er in einer politischen Versammlung.
»Es war falsch von meinem Vater, in den Kauf einzuwillen. Unsere Familie will vor allem keinen Aufstand. Was mich selbst betrifft, meine besten Freunde sind Franzosen.«
»Werden Sie ihr die Wahrheit sagen?«, fiel ihm Tam starr vor Entsetzten ins Wort.
Wenji blieb empört stehen.
»Für wen hältst du mich?«, fuhr er sie an.
Tam antwortete nicht. Auch wenn er reich war und einen wahnsinnig machen konnte, hatte Wenji nichts von einem Schurken oder Verräter.
»Und da Sie wussten, dass die Königin die Figur verkauft hat, haben Sie sich auf den Weg zu ihr gemacht?«, wollte Tam wissen.
Wenji seufzte und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Er sah plötzlich sehr erschöpft aus.
»Unmöglich«, sprach er weiter. »Im Palast hat man mich nicht zu ihr vorgelassen. Also wollte ich sie im Pavillon aufsuchen.«
»Dann hat Nina Sie also gestern wirklich dort gesehen.«
»Ja, aber ich bin wieder fortgegangen, als ich euch sah.«
»Was auch Ihr plötzliches Auftauchen an der Anlegestelle erklärt.«
»Eine gute Idee, oder?«, fragte er lächelnd.
Tam sah wieder das Raubtier und seine furchtbare »Zwischenmahlzeit« vor sich. Sie fragte sich, ob sie Wenji danken sollte, als ihr ein Bild durch den Kopf ging: Nina, die durch die Nacht irrte, verfolgt von einem mächtigen Tiger …
Wenji schien sich ähnliche Gedanken zu machen, denn sein Lächeln war einem besorgten Gesichtsausdruck gewichen.
»Wo kann sie sich nur verstecken?«, fragte er.
Ein Geräusch an der Tür unterbrach sie. Wenjis Schwester Mei betrat mit ihrer Staffelei in den Händen den Raum.
Die junge Frau trug wieder eines ihrer chinesischen Kleider mit hohem Kragen, dieses war in Smaragdgrün. Als sie Tam erblickte, blieb sie abrupt stehen. Dann betrachtete sie mit Abscheu ihren mit Matsch beschmutzten
áo dài
. Die Tochter des Kochs errötete vor Verwirrung, sodass sich Wenji gezwungen sah, sie in Schutz zu nehmen.
»Tam hat in dieser Nacht einigen Ärger gehabt. Sie hilft uns wegen dieser Geschichte mit der verlorenen Jadefigur.«
»Ach?«, wunderte sich Mei, ohne eine Spur von Wärme. »Sie riecht auf drei Meter Entfernung nach Schlamm. Sorge das nächste Mal dafür, dass sie mit den Bediensteten isst.«
Wenji erhob sich so ruckartig, dass er den Stuhl umwarf, und baute sich vor seiner Schwester auf.
»Und du stinkst auf fünfzehn Meter Entfernung nach Narzisse. Das widert mich an. Komm, Tam, lass uns gehen.«
Beim Hinausgehen stieß er Mei zur Seite. Dabei fiel das Bild, an dem sie gerade arbeitete, von ihrer Staffelei und landete auf dem Boden. Es war eine große Lotusblume in grellem Rosa, die in kitschig grünem Wasser schwamm; im Hintergrund stand ein etwas wackeliges Holzgebäude.
»Der Pavillon beim Lotusteich!«, riefen Tam und Wenji gleichzeitig.
Ohne eine Sekunde zu zögern, rannten sie zur Tür hinaus. Wenji drehte sich noch einmal zu seiner Schwester um und rief ihr zu: »Ausnahmsweise sind deine Zeichenstunden mal zu etwas nütze!«
Ein Rechtschreibfehler
Erst als sie in der Dschunke unter dem Schutzdach saßen, kam Wenji auf die Szene zurück.
»Es tut mir leid, Tam. Mei ist furchtbar versnobt. Sie vergisst, dass unser Großvater nur ein armer fahrender Händler war. Ich kann es kaum erwarten, das Land zu
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