Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
schritt Viktoria mit ihrem Verlobten auf die Tanzfläche.
Zwar lag das Fischbein des Korsetts zwischen ihrer Taille und der
Wärme seiner Umarmung, aber ihr war wohl in seinem Griff.
Gemeinsam drehten sie ihre Runden auf dem Parkett. Viktorias Wangen
glühten, was nun sicher auch die Puderschicht nicht verbergen
konnte. Sie hoffte, dass die allgemeine Aufmerksamkeit sich auf ihr
Kleid aus kobaltblauer Seide richten würde, auf die modisch
aufgebauschte Tournüre an ihrem Gesäß und den
eleganten Faltenwurf des Stoffes, der an dem Gestell entlang zu Boden
floss. Ihr fiel plötzlich eine Karikatur aus der Zeitung ein.
Die neue Mode ließ Frauen wie Enten mit Stummelschwanz
aussehen. Sie unterdrückte ein Kichern und versuchte, sich auf
den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren, denn sie hatte lange
ungeduldig darauf gewartet, ihre Verlobung öffentlich und
dadurch endgültig werden zu lassen. Anton strahlte. Sie wurde
von seiner Begeisterung angesteckt, vergaß darüber die
Angst, vor lauter Aufregung einen falschen Schritt zu tun oder gar zu
stolpern.
»Nun
weiß ganz Hamburg, dass wir zusammengehören, Vicki«,
flüsterte er ihr ins Ohr und zog sie enger an sich. Sie spürte
seinen Blick frech in ihren Ausschnitt gleiten und war plötzlich
dankbar für das Korsett, das ihren Busen emporquellen ließ.
Anton wollte sie nicht nur wegen ihres Geldes, ganz gleich, wie viel
Gift neidische Zungen im Saal gerade eben zischend verbreiten
mochten.
Die
Gesichter der Anwesenden sausten an Viktorias Augen vorbei. Der
einzige bleibende Eindruck war die steinerne Miene ihrer alten
Freundin Sophie, die gedroht hatte, sich umzubringen, falls ihre
Eltern sie zu der geplanten, überaus vorteilhaften Heirat mit
einem wohlhabenden, zwanzig Jahre älteren Geschäftsmann
zwangen. Diese Drohung hatte aber keinerlei Wirkung gezeigt, und da
Sophie schließlich die nötige Verzweiflung oder vielleicht
einfach der Mut gefehlt hatte, um sie wahr zu machen, stand sie nun
an der Seite ihres dicklichen Gemahls, der ein Monokel vor sein
rechtes Auge klemmte. Ihr einst so ungezwungenes Lachen war in dieser
Ehe gestorben.
Viktoria
wandte den Blick ab. Es beschämte sie manchmal, welches Glück
sie selbst im Leben hatte. Anton war ihre Wahl gewesen. Sie hatte ihn
vor einem Jahr bei einem Empfang kennengelernt, wo er von einer Reise
nach Griechenland erzählte und im Detail die Schönheit
nackter Männerstatuen beschrieb, was einiges Stirnrunzeln
ausgelöst hatte. Viktoria hatte seine gelbe Samtweste gefallen,
mit der er sich dreist gegen die Diktatur dezenter, dunkler
Männerkleidung auflehnte und die ihn als Dandy auszeichnete,
seine Unverfrorenheit, die sichtliche Freude an Provokation
offenbarte. Davon abgesehen erinnerte der hochgewachsene Mann mit
seinen honigfarbenen Locken selbst an die Bilder griechischer
Statuen.
»Erzählen
Sie uns doch bitte mehr«, hatte sie lächelnd in die
versammelte Runde gemeint. »Kultivierte Menschen wie wir lieben
die Kunst!«
Die
graublauen Augen hatten sie zunächst staunend, dann mit einem
verschwörerischen Blitzen gemustert. Von diesem Moment an hatte
ein Naturgesetz zu wirken begonnen, das sie beide zueinander
hintrieb.
Die
Musik verstummte. Neuer, lebhafter Applaus erklang. Der Tanz zweier
junger Verliebter von gefälligem Aussehen und mit
vielversprechender Zukunft hatte den Anwesenden gefallen. Viktoria
legte ihre Hand erleichtert auf Antons Arm und ließ sich an die
Tafel zurückführen.
»Es
ist nun an der Zeit, dass meine Tochter ihre Präsente öffnet«,
verkündete Herr Virchow. Ein Vorhang, der bisher eine Ecke des
Saales verdeckt hatte, wurde zurückgezogen. Viktoria erblickte
einen mit bunten Paketen überladenen Tisch. Pflichtbewusst trat
sie vor. Nun würde sie völlig sinnlose Geschenke auspacken
müssen und Karten lesen, auf denen die Namen jener Leute
standen, bei denen sie sich für ein mit Plunder überladenes
Zimmer zu bedanken hatte.
»Ich
habe etwas ganz Besonderes für dich, mein Kind«, erklang
die Stimme ihres Vaters an ihrer Seite und ihre Hand wurde zu einer
kleinen, mit roter Seide überzogenen Schachtel gelenkt.
Neugierig griff Viktoria zu, streifte das Band ab und suchte nach dem
Knopf, der den Verschluss aufspringen ließ.
Zwei
bunte Drachenköpfe, die einander zugewandt waren, als würden
sie miteinander flüstern, ragten ihr entgegen. Der Schöpfer
dieser Drachen hatte ihnen spitze Zähne
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