Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Samt bezogen und wurden von einer
Unmenge bestickter Kissen erdrückt. Viktoria verdrängte den
Gedanken, welches Entsetzen dieser Anblick bei ihrem schöngeistigen
Vater ausgelöst hätte.
»Da
bist du endlich. Ich habe dich schon vor einer halben Stunde
erwartet, aber du hast ja immer viel zu tun«, wurde sie von
Sophie begrüßt. Viktorias Arme hoben sich leicht. Als ihre
Freundin noch Sophie von Schütte geheißen hatte, da hatten
sie einander oft umarmt, aber dieses in seinem Unglück
versteinerte Wesen sehnte sich nicht nach Berührungen. Daher
zwängte sich Viktoria einfach zwischen die Kissen eines der
Sessel.
»Ich
war mit Anton ausreiten«, erklärte sie die Verspätung.
»Und
da war ich natürlich so unwichtig, dass du mich beinahe
vergessen hast«, giftete Sophie. Sie war niemals eine Schönheit
gewesen, doch die fahle Haut und der verbissene Zug um ihren Mund
ließen sie unnötig alt aussehen. Viktoria fuhr auf.
»Ich
habe nicht dich vergessen, nur die Zeit. Jetzt bin ich ja hier.«
Sophies
Kopf senkte sich zu einem Nicken. Sie griff nach einer Klingel, um
ihr Dienstmädchen zu rufen. Ein Tablett mit Kaffeetassen und
Kanne wurde hereingetragen. Das Porzellan schien von guter Qualität,
aber die Farben der darauf gemalten Figuren schrien dem Betrachter
grell ins Gesicht. Sophie stieß einen leisen Seufzer aus.
»Mein
Mann hat das Service ausgesucht«, meinte sie schicksalsergeben.
Viktoria wollte fragen, warum sie ihm nicht zu einem anderen Kauf
geraten hatte, aber dann verstand sie plötzlich. Sophie wollte
tapfer und machtlos leiden. Hätte sie versucht, ihre Lage durch
diplomatisches Geschick zu verbessern, wäre das ein Zeichen von
Einsicht gewesen. Ihre Familie, die stets meinte, sie würde in
dieser notwendigen Ehe irgendwann Zufriedenheit finden, hätte
Recht behalten.
Viktoria
nippte an der farbenfrohen Tasse. Der Kaffee schmeckte unerwartet gut
und sein Duft löste Wohlbehagen aus.
»Ich
habe meiner Mutter gesagt, dass wir auch den Morgen zusammen
verbracht haben«, meinte sie zu Sophie. »Bitte
widersprich nicht, falls sie dich fragen sollte.«
Dann
wartete sie unsicher die Wirkung dieser Worte ab. Das Dienstmädchen
erschien nochmals, um einen Teller mit Gebäck zu bringen. Obwohl
Viktoria keinerlei Hunger verspürte, griff sie zu, um sich
irgendwie abzulenken.
»Und
mit wem warst du bis jetzt zusammen? Lass mich raten! Du warst allein
mit deinem Anton«, fragte Sophie, ohne eine Miene zu verziehen.
»Wir
sind verlobt«, wehrte Viktoria sich gegen die unausgesprochene
Anklage.
»Natürlich.
Dich will er heiraten.«
Es
klang sehr nüchtern, sachlich und kalt. Die Geister von Frauen,
mit denen Anton Zeit verbracht hatte, ohne sie heiraten zu wollen,
wurden heraufbeschworen. Viktoria rutschte auf dem Sessel und stieß
gegen Kissen.
»Ja,
wir werden heiraten«, erwiderte sie trotzig. »Das Fest
ist schon geplant und mein Hochzeitskleid bestellt. In vier Monaten
ist es so weit.«
Sophies
Kinn verschwand hinter der Kaffeetasse, als sie trank.
»Was
habt ihr denn die ganze Zeit gemacht?«, fragte sie beim
Abstellen der Tasse. »Nett miteinander geplaudert?«
Viktoria
spürte das Glühen ihrer Wangen.
»Wir
sind die Alster entlanggeritten«, begann sie so belanglos wie
möglich. »Dann machten wir am Ufer halt.«
»Und
dort habt ihr gemeinsam Karten gespielt«, redete Sophie
spöttisch weiter. Viktorias Hände verkrampften sich zu
Fäusten. Hatte das heftige Stechen zwischen ihren Beinen
irgendetwas an ihrer Person derart verändert, dass Sophie ihr am
Gesicht ablesen konnte, was geschehen war?
»Nein,
wir haben ein Picknick gemacht, uns unterhalten und … und …«
Sie
verstummte unter Sophies bohrendem Blick. Dann schüttelte sie
entschlossen das Schamgefühl ab. Warum sich in unnötige
Lügen und Ausflüchte verstricken?
»Wir
haben auch andere Dinge getan, die angeblich unter Eheleuten üblich
sind. Denn wir sind ja so gut wie verheiratet.«
Sie
schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein. Ihre Hände
zitterten leicht. Vermutlich war sie noch ein wenig beschwipst.
Sophie glich weiter einer unbeweglichen Statue, gefangen in einem
stummen, ergebenen Ausdruck der Trauer. >Mater Dolorosa’
schoss es Viktoria durch den Kopf. Sie unterdrückte ein Kichern
und schämte sich
Weitere Kostenlose Bücher