Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Fräulein war eben dabei, eine Holzlieferung in Empfang zu nehmen und zu kontrollieren, mittels derer Ställe und Schuppen nach dem Winter ausgebessert werden sollten. Nun kam sie direkt aus dem Torhaus der Burg in die Räume ihres Vaters. Sie war verschwitzt, und an ihrem Umhang hafteten Sägespäne.
»Kind, ich habe Kunde, dass die Abordnung von Lauenstein im Anritt ist. Es heißt, sie führten zwei Knaben mit sich als Knappen! Nicht in hochherrschaftlichem Gepränge, aber es ist doch gut möglich, dass sich Herr Dietrich hier im Schutz seiner Ritter, demütig als einfacher Knappe gekleidet, ein Bild von seiner Braut zu machen gedenkt! Davon reden zumindest Rüdiger und Wolfgang ... und was denen einfällt, wird wohl auch anderen Jungen in den Kopf kommen.« Peregrin musterte Gerlin. »Herrgott, Mädchen, und du läufst hier herum wie eine Bauernmagd!«, tadelte er sie. »Nun, es ist noch nicht zu spät. Sieh zu, dass man dir ein Bad bereitet - vielleicht schaffst du es ja, dich halbwegs höfisch herzurichten, bis die Herren einreiten. Dann kannst du sie im Burghof willkommen heißen.«
Gerlin unterdrückte eine scharfe Erwiderung. Sie liebte die Beaufsichtigung der Arbeiter, die die Ausbesserungen vornehmen sollten, nicht, aber sie konnte sie niemand anderem anvertrauen. Der Kaplan empfand es als unter seiner Würde als Gottesmann, Bretter und Pfähle auf korrekte Länge und Breite zu kontrollieren - er fiel also aus. Ansonsten konnten außer Gerlin nur Peregrin, Rüdiger und Wolfgang genügend gut schreiben und rechnen, um kein heilloses Durcheinander in den Rechnungsbüchern anzustellen. Rüdiger wäre der beste Ersatz für seine Schwester gewesen, aber sie ahnte, dass er sich weigerte, solch »unritterliche« Aufgaben zu übernehmen.
Im Stillen verfluchte Gerlin wieder mal Leon von Gingst, der ihn in diesen Ansichten unterstützte. Dabei war Rüdiger kein Leben als Held bestimmt, sondern als Erbe eines Lehens, und wenn er dies erfolgreich bearbeiten wollte, sollte er mindestens so gut wirtschaften lernen, wie das Schwert zu führen. Gerlin hoffte, dass man ihm dies am Hof zu Lauenstein klarmachen würde - zumindest Dietrich war laut Herrn Salomon gebildet und belesen.
Dieses Mal würde sie sich allerdings Wolfgang packen müssen, der sich bestimmt freute, wenn man ihm die Aufgaben eines Erwachsenen übertrug. Leider war er bislang alles andere als perfekt im Abmessen und Notieren von Zahlen ...
Als Gerlin endlich alles geregelt hatte, war es entschieden zu spät für ein Bad in den Frauengemächern. Schließlich musste das Wasser dafür in ihre Kemenate hinaufgeschleppt werden, und das kostete Zeit - und die Arbeitskraft von Knechten, die man beim Holzabladen benötigte. Gerlin überlegte kurz, ob es ohne Bad ging, entschied aber dann, dass sie eine Erfrischung brauchte. Sie lief rasch durch den Burghof, den Küchengarten und hinab in Richtung Fluss. Die Ritter und ihre Pferde badeten dort täglich, die Mägde und Bauernmädchen im Schutz eines Weidendickichts nach der Tagesarbeit. Peregrin achtete strikt darauf, dass sie dabei nicht gestört wurden. Bei Beschwerden gegen ihnen auflauernde Männer verhängte er harte Strafen.
Gerlin selbst erfrischte sich meist am späten Nachmittag kurz im Wasser. Dann waren die Ritter fort, aber die Mädchen noch nicht da, das Bad ersparte ihr aufwändigere, wenn auch ihrem Stand angemessenere Reinigungsprozeduren. Auch an diesem Tag war Gerlin allein an der Badestelle, aber als sie sich eben wieder ankleidete, hörte sie Stimmen auf der anderen Seite des Weidendickichts. Es mündete dort in ein Wäldchen, abgewandt von der Burg.
»Du bist ein Knappe, mein junger Freund, und als solcher obliegt dir die Reinigung der Rüstungen!«, erklärte eine scharfe, befehlsgewohnte Tenorstimme. »Wenn du zum Ritter geschlagen bist, kannst du auftrumpfen, aber jetzt nimmst du dir ein Tuch und polierst diesen Harnisch!«
Gerlin spähte durch das Dickicht und entdeckte eine Gesellschaft von sechs Reitern mit schönen, gepflegten Pferden. Die Männer entledigten sich eben ihrer Reisekleidung - sie waren nur in ihren Kettenhemden geritten - und planten wohl, zunächst zu baden und danach ihre mitgeführten Rüstungen anzulegen. Gerlin hätte das mit Besorgnis gesehen, hätte ihr Vater eine Fehde gehabt, aber feindliche Ritter pflegten sich nicht vor dem Angriff im Burggraben des Gegners zu reinigen. Sie war sicher, die Eskorte der Lauensteiner vor sich zu haben, die mit großem
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