Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
ausgewählt, es stammt aus der Schatzkammer seiner verstorbenen Mutter.«
Gerlin wunderte sich, dass deren Schätze nicht in den Besitz der nachfolgenden Gattinnen des Herrn von Lauenstein übergegangen waren. Aber vielleicht hatte Dietrichs Mutter ja spezielle Schmuckstücke für ihre spätere Schwiegertochter bestimmt. Der Gedanke wie auch das persönlich ausgesuchte Geschenk rührten Gerlin. Dietrich musste ein feinfühliger Junge sein - bei Rüdiger konnte sie sich eine ähnliche Handlung nicht vorstellen.
Auf jeden Fall bedankte sie sich jetzt artig und zog sich neugierig mit ihrem Geschenk in ihre Kemenate zurück, während ihr Vater die Gäste in die große Halle geleitete. Gerlin plante, später zu ihnen zu stoßen, egal, ob es Peregrin recht wäre oder nicht. Sie brannte darauf, so viel wie möglich über ihren zukünftigen Gatten und seine Hofhaltung zu erfahren, sicher würde sie sich keine Gelegenheit entgehen lassen, mit seinen Rittern zu sprechen.
Vorerst aber wickelte sie das Geschenk, ein Kästchen aus Buchenholz, aus seiner samtenen Hülle. In den Deckel war kunstvoll das Wappen von Ornemünde eingeschnitzt, das Schloss bestand aus purem Silber. Gerlin öffnete das Kästchen vorsichtig und fand es mit ebenfalls nachtblauem Samt ausgeschlagen. Darauf ruhten drei filigrane Armreife aus Rotgold, in einen davon waren Ornamente aus Gelbgold und Silber eingelassen. Gerlin hatte solchen Schmuck bislang nur am Hof der Königin Eleonore gesehen, meist im Besitz von Mädchen aus Sizilien oder Kastilien. In deutschen Landen gab es keine Goldschmiede, die so fein ziseliertes Geschmeide herstellte, die Reife mussten aus maurischen oder sarazenischen Landen kommen. Gerlin konnte sich an der kunstvollen Verarbeitung kaum sattsehen, aber dann fiel ihr Blick auf eine kleine Karte, die sich bescheiden im Samtbett des Schmuckkästchens verbarg.
Gerlindis von Falkenberg,
ich bitte Euch, vorliebzunehmen mit diesem bescheidenen Geschenk. Bitte glaubt mir, dass ich den Tag herbeisehne, an dem ich zusehen darf, wie der Glanz dieses Schmuckes im Angesicht Eurer Schönheit verblasst. Euch grüßt Euer versprochener Gatte Dietrich von Ornemünde zu Lauenstein
Die Worte waren mit runder, noch etwas kindlicher Handschrift geschrieben - aber fehlerfrei. Es war die Sprache eines bei Hofe geschulten Ritters. Gerlin nahm an, dass der junge Dietrich bei der Abfassung des kleinen Briefes Hilfe gehabt hatte, aber ihr Herz klopfte doch in reiner Freude. Dietrich schien zumindest kein verzogener, ungehobelter Lümmel zu sein. Und - bis sie in Lauenstein eintraf, konnte sie sich vorstellen, dass sie die Karte und das Geschenk von einem erwachsenen, ihrer würdigen Minneherrn erhalten hatte - von jemandem wie Florís de Trillon. Gerlin tanzte die Stiege von ihrer Kemenate in den Saal der Ritter hinunter. Sie begann, sich zumindest auf den Ritt nach Lauenstein zu freuen.
Kapitel 4
F lorís de Trillon teilte beim abendlichen Bankett artig den Teller mit Gerlin, wie es ein Ritter mit einer Dame tat, die seinem Schutz anvertraut war oder der seine Minne galt. Gerlin kannte dies vom Hof der Eleonore von Aquitanien, wo bereits zwei junge Ritter gebeten hatten, unter ihrem Zeichen in den Kampf reiten zu dürfen.
Die Königin hatte ihre Ziehtöchter zur Annahme von Minnediensten ermutigt, sofern sie nicht über eine leichte Schwärmerei hinausgingen. Die höfische Minne, so hielt sie ihren Mädchen immer wieder vor, hatte nicht in erster Linie mit körperlicher Liebe zu tun, sondern mit der Hochachtung, die ein Ritter seiner Dame entgegenbrachte. Diese ließ ihn geistig wachsen. Die Dame hatte ihn zu ritterlichen Tugenden anzuhalten, zu Mäßigkeit und Demut, zum Schutz der Schwachen und zur Verteidigung des Guten und Schönen. Sie wertete seine Taten, belohnte ihn mit schönen Worten, konnte ihn aber auch scharf tadeln, wenn er in ihren Augen gefehlt hatte.
Florís' Aufmerksamkeit hatte für Gerlin nichts Anstößiges, obwohl die älteren Ritter ihres Vaters sie mit Missbilligung betrachteten, und Leon von Gingsts Blicke geradezu Funken zu sprühen schienen. Über ihre neue Heimat erfuhr Gerlin allerdings nicht viel im Laufe der Unterhaltung mit dem Ritter.
Natürlich schilderte er ihr die Burg Lauenstein als groß und schön: »Ich denke mir, dass die Frauengemächer allen Ansprüchen auf ein behagliches Wohnen entsprechen dürften, aber ich habe sie bislang nicht betreten.«
Also war er sicher kein Minneherr der Gräfin Luitgart.
Weitere Kostenlose Bücher