Das Geheimnis der Puppe
ein wenig, als sie Laura in die Arme schloß. Vater war ebenfalls sehr gerührt, drückte sie an sich, klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter. Vom Standesamt aus fuhren wir gleich zu Lauras Elternhaus. Zweimal sah ich sie aus den Augenwinkeln nervös auf ihrer Unterlippe kauen. Als sie es bemerkte, zuckte sie kurz mit den Schultern und lächelte verlegen. Ich sah Marianne Robin zum erstenmal in der offenen Haustür stehend. Eine Laura in älterer Ausführung. Die Ähnlichkeit war erschütternd. Das gleiche dunkle Haar, die gleichen Augen, deren Farbe man nie richtig bestimmen kann, sind sie nun grün oder sind sie braun, oder sind sie von beidem etwas? Elegant war sie, weiblich, attraktiv und sehr beherrscht. Den Eindruck einer Geisteskranken machte sie wahrhaftig nicht. Niemand, der es nicht wußte, wäre auf die Idee gekommen, daß Marianne ihre einzigste Tochter in diesem Augenblick nach langen Jahren erstmals wiedersah. Mit einem kleinen Lächeln streckte sie beide Hände aus. Ergriff Lauras Hände.
»Meinen herzlichen Glückwunsch, mein Kind. Laß dich anschauen, du hast dich kaum verändert.«
Etwas in dieser Art sagte sie. Sie war nicht verletzt, nicht verärgert oder sonstwas. Sie war in diesem Moment einfach nur eine Mutter, deren Kind sich nun endgültig abnabelte. Gerührt, sentimental, ein wenig traurig, liebevoll und aufmerksam. Mich begrüßte sie ebenfalls mit einem Glückwunsch, gleich danach kam das:»Bert hat mir sehr viel von dir erzählt.«
Und dabei mußte Bert sehr gründlich vorgegangen sein. Was immer er in den letzten Monaten von Laura erfahren hatte, Marianne wußte es ebenfalls. Laura demonstrierte Unabhängigkeit, hielt sich entweder in meiner unmittelbaren Nähe auf oder saß mit ihren Kollegen zusammen. Es muß für Marianne sehr schwer gewesen sein. Für mein Empfinden hätte Laura getrost eine der kleinen, unauffälligen Gesten erwidern können. Ein freundliches Wort, ein Lächeln, vielleicht nur ein kleines Dankeschön für diese Feier. Gleich zu Anfang fiel mir etwas Merkwürdiges auf. Jeder der Anwesenden wußte um Lauras zwiespältige Gefühle. Jeder kannte die entwürdigenden Umstände, unter denen sie ihr Elternhaus vor Jahren verlassen hatte. Und jeder gab sich so ahnungslos natürlich. Ich weiß noch, wie ich darüber ins Grübeln geriet. Wie ich dachte, daß es zwischen Menschen, auch wenn sie einander völlig fremd sind, geheime Abkommen gibt, die nicht ausgesprochen werden müssen, an die sich jeder hält. Und wie das bei mir so ist, glomm da ganz zaghaft eine neue Idee auf. Anfangs noch sehr vage. Ein einsam gelegenes Haus, bewohnt von einem alten Sonderling. Eines Tages bekommt er Besuch. Ein gutes Dutzend Leute. Menschen, die alle in irgendeiner Beziehung zu diesem Haus stehen, darunter auch ein junges Mädchen, dem man vor langen Jahren etwas Entsetzliches angetan hat. Einer nach dem anderen treffen die Menschen ein, einer wie der andere lächeln sie, geben sich fröhlich und ungezwungen. Und jeder von ihnen weiß um das grausame Geheimnis des Hauses und des Gastgebers. Ein Geheimnis, das sie an diesem Tag endlich einholt, das an die Oberfläche drängt, unerbittlich und gnadenlos. Es waren wirklich nur diese wenigen Sätze, die mir durch den Kopf gingen. Und nicht einmal im Traum wäre ich auf den Gedanken gekommen, daß es diesmal viel mehr war als eine Idee. Das einsam gelegene Haus, das Geheimnis des Gastgebers. Bert war der Gastgeber, aber sein Haus lag nicht einsam, und es war nicht sein Geheimnis. Später am Nachmittag sah ich Marianne im Gespräch mit meiner Mutter. Sie tauschten Anekdoten aus, unter Müttern scheint das so üblich. Lauras erster Schultag. Toms Masern und das verrenkte Knie. Ich hörte zu meinem Erstaunen, daß ich ein sehr stilles Kind gewesen sei. Daß ich schon im zarten Alter von fünf oder sechs Jahren Geschichten erzählt und damit alle Leute erschreckt hatte. Hin und wieder lachte Marianne leise auf. Dann kam die Episode vom Nordseeurlaub, in dem ich mich nur mit den Fußsohlen ins Wasser traute und vor jeder Welle Reißaus nahm. Mutter war ganz in ihrem Element, erzählte und erzählte, was immer ihr gerade einfiel. Ich achtete nicht weiter darauf, unterhielt mich mit Bert über die Möglichkeiten des Films und die unterschiedliche Wirkung von dargestellter und geschriebener Szene. Vater kam dazu und vertrat vehement die Ansicht, was ich zu Papier brächte, könne man unmöglich in Szene setzen, da müsse man ausschließlich in
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