Das Geheimnis der Rose
Man kam um der Gesundheit willen, indem man das Thermalwasser trank und darin badete, aber auch um Kontakte zu pflegen. Am Fluß Avon zwischen ausladenden Kalksteinhügeln gelegen, bot die Stadt Unterhaltung, Einkaufsmöglichkeiten und Unterkünfte, bescheidener bis nobelster Art.
Als Julia von ihrem Gästehaus zu dem Badehaus und der Thermalquelle ging, beobachtete sie, wie die letzten rosa- und lavendelfarbenen Sonnenstrahlen hinter dem New Theatre verschwanden. Es war ein elegantes Gebäude, das eine schöne Bühne und drei Logenränge besaß, alles herrlich mit Purpur und Gold verziert. Julia war vor einer Woche in Bath angekommen, und während der letzten beiden Tage hatte sie gesehen, dass Schiffsladungen mit Bühnenausrüstung angekommen waren, um die Premiere von Geliebte Lügnerin vorzubereiten. Auch einige Mitarbeiter und Schauspieler waren angekommen. Logan hatte die Nachricht geschickt, dass alle bei der morgigen Probe für die erste Aufführung am Donnerstag anwesend sein sollten.
Während ihrer Einkäufe und Besuche in der Trinkhalle, einem prächtigen Bau mit korinthischen Säulen, hatte Julia gehört, wie über das Stück geklatscht wurde. Einige behaupteten, es sei verhext, niemand könne sie zu einem Besuch überreden. Andere zeigten sich höchst neugierig auf die Inszenierung. Besonders häufig wurde über Mrs. Wentworth spekuliert, was Julia sehr amüsierte, während sie daneben saß, das Gesicht unter einem Schleier verborgen.
Es war notwendig, ihre Identität geheim zu halten. Vor Jahren schon hatte Julia gelernt, dass sie niemals den Erwartungen, die die Leute an sie hatten, entsprechen konnte. Unweigerlich wollte sie, dass sie wie eine der Heldinnen aus einem Stück wäre, mit glänzenden Dialogen und auffallenden Gesten. Selbst Logan Scott hatte sich darüber beschwert, dass Frauen sich wünschten – und manchmal auch forderten –, er solle der romantische Liebhaber für sie sein, so wie auf der Bühne.
»Das ist ein allgemeines Problem für Schauspieler«, hatte er zu ihr gesagt. »Die Leute sind immer enttäuscht, wenn sie herausfinden, dass wir Menschen sind wie andere auch.«
Als sie das Badehaus betrat, ein kleines Gebäude in einfachem griechischem Stil, nickte sie der Bademeisterin zu.
Julia hatte mit der älteren Frau vereinbart, dass nur sie allein während ihrer abendlichen Besuche das Bad benutzen durfte. Es war die einzige Möglichkeit, eine friedliche Stunde zu verbringen, ohne dass Julia sich mit dem Klatsch, den Fragen und den neugierigen Blicken anderer Frauen auseinandersetzen musste. So traf es sich gut, dass sowieso nur wenige während der unbeliebten Abendstunden das Badehaus besuchen wollten. Man hielt es für gesünder – gar nicht zu reden von dem gesellschaftlichen Vorteil –, morgens zu baden.
Julia verließ den Vorraum und betrat den Baderaum durch eine verzogene Holztür. Die Oberfläche des Wassers war glatt wie Glas und reflektierte das Licht einer einzelnen Wandlampe. Dampf stieg auf, der einen beißenden mineralischen Geruch verbreitete. Das heiße Wasser würde einen wunderbaren Kontrast zu der kühlen Luft draußen bilden. Julia seufzte erwartungsvoll, als sie ihre Kleider auszog und sie auf einen Holzstuhl legte. Mit zwei Nadeln steckte sie das Haar oben auf dem Kopf zu einem Knoten fest.
Vorsichtig stieg sie die abgetretenen Stufen in das Wasser hinunter. Warme Nässe schlug ihr gegen die Waden und kroch zu den Hüften, der Taille und den Schultern herauf, als sie den Boden erreichte. Sie zitterte vor Vergnügen, als die Hitze sie durchdrang; sie ließ die Arme im Wasser schweben und spritzte es sich träge gegen den Hals.
Während ihr Körper sich entspannte, wanderten ihre Gedanken. Sie überlegte, wie Damon wohl auf ihr plötzliches Verschwinden reagierte, ob er sie zu finden versucht hatte … oder ob er viel zu beschäftigt mit Lady Ashton war, um einen Gedanken an sie zu verschwenden. In ihrer Fantasie tauchte ein Bild von ihm mit Pauline auf, ihre Körper im Liebesakt verschlungen. Sie schüttelte den Kopf, um das Bild loszuwerden. Die Frage, was geschehen war, nachdem sie in der Nacht des Theaterbrands Damons Haus verlassen hatte, beunruhigte sie zutiefst. Hatte Damon seiner Geliebten zu bleiben gestattet? Hatten sie sich gestritten? Oder geliebt?
»Es ist mir gleichgültig, es ist mir gleichgültig«, murmelte Julia und rieb sich mit nassen Händen über das Gesicht.
Aber das war eine Lüge. Trotz aller Leugnungen, Angst und
Weitere Kostenlose Bücher