Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
hinter ihr blieb. Wenn sie sich für bedeutend oder reich hielte, wäre sie vielleicht auf den Gedanken verfallen, dass ihr jemand folgte. Aber wer sollte sich dieser Mühe unterziehen? Die einzige halbwegs plausible Erklärung, die ihr einfiel, war, dass ihr geschiedener Mann einen Privatdetektiv engagiert hatte, um Beweise dafür zu sammeln, dass sie nicht in der Lage wäre, ihre Kinder zu erziehen. Sie entschied sich, lieber an einen Zufall zu glauben. Zudem hätte er sicher keinen derartigen Stümper engagiert, dessen Verfolgung selbst ihr auffallen musste.
Die wieder aufflackernde Sorge um ihre Tochter verdrängte den Opelfahrer jedoch schnell. Irgendwo hier draußen trieb sich Katharina herum. Und es gab gefährliche Ecken in der Stadt. Kreuzgefährlich sogar für ein überhebliches und zutiefst verunsichertes Mädchen wie ihre Tochter. Siedend heiß wurde ihr bewusst, welcher Gefahr Katharina sich aussetzte und dass es möglicherweise ihre letzte Chance war, die wuchernden Probleme in den Griff zu bekommen. Ihr Instinkt warnte sie, diese Chance ungenutzt verstreichen zu lassen. Es war höchste Zeit, eine Entscheidung zu treffen.
Sie griff nach dem Handy und wählte die Nummer des Stationsarztes. »Hallo Gerd, ich brauche dringend eine Woche Urlaub«, sagte sie ohne Umschweife.
»Das geht nicht! Wie stellst du dir das vor?«, hörte sie ihn mit aufsteigender Panik in der Stimme.
Er würde wie immer versuchen, sie moralisch unter Druck zu setzen, was bei ihr der einfachste Weg war, weil die Argumente Verantwortung und Pflicht sie stets entwaffneten. Doch diesmal hielt die Angst um ihre Tochter ihr Denken in eisernem Griff. »Doch, Gerd, das geht. Diesmal muss es gehen! Ich bin in einer Woche zur Frühschicht wieder im Krankenhaus«, beendete sie das Gespräch und atmete erleichtert aus. Unmittelbar darauf klingelte das Handy. Marta brauchte nicht aufs Display zu schauen, um zu wissen, dass ihr Chef versuchen wollte, sie umzustimmen. Um am Ende nicht doch seinen Argumenten, Appellen und Versprechungen zu erliegen, nahm sie den Anruf erst gar nicht an, sondern schüttelte nur den Kopf und gab unwillkürlich Gas.
Ein Versuch, wenig später ihre Tochter zu erreichen, schlug fehl. Im Grunde hatte sie nichts anderes erwartet. Also hinterließ sie auf Katharinas Mailbox die dringende Bitte um Rückruf. Dann rief sie die Lehrerin an, die ihr mitteilte, dass ihre Tochter auch heute nicht zum Unterricht erschienen sei. In der Sorge, die Lehrerin könnte ihre Drohung, dem Jugendamt Mitteilung zu erstatten, in die Tat umsetzen, griff sie zu einer Lüge und erklärte, sie befinde sich auf dem Weg nach Hause, was stimmte, weil ihre Tochter erkrankt sei, was eindeutig nicht stimm te. Von einer vagen Hoffnung getrieben, erkundigte sie sich möglichst beiläufig, ob ein anderer Junge oder ein anderes Mädchen mit Katharina gemeinsam die Schule geschwänzt hätte. Die Lehrerin verneinte und wünsch te Katharina gute Besserung. Marta bedankte sich automatisch, denn ihre Aufmerksamkeit galt bereits wieder ihrer Tochter. Katharina war somit entweder alleine oder mit Leuten unterwegs, die sie, Marta, nicht kannte und über die sie nicht das Geringste wusste. Das gefiel ihr überhaupt nicht.
Vor ihrem Haus angekommen, stellte sie überrascht fest, wie leicht es um diese Zeit war, einen Parkplatz zu finden. Beim Aussteigen fiel ihr auf, dass sie fast einen halben Meter vom Bürgersteig entfernt geparkt hatte. Wenn ihr das sonst passierte, rangierte sie gewöhnlich so lange, bis sie perfekt stand, doch heute nahm sie es ledig lich desinteressiert zur Kenntnis. Sie hoffte inständig, ihre Tochter zu Hause anzutreffen. Das hielt sie, je näher sie ihrer Wohnung kam, sogar für sehr wahrscheinlich, schließlich konnte Katharina nicht damit rechnen, dass Marta jetzt schon nach Hause käme. Sie redete sich sogar ein, dass die Wohnung aus Katharinas Sicht der sicherste und attraktivste Ort sein musste. Was sollte sich das Mäd chen dem nasskalten Erkältungswetter aussetzen?
Mit schnellen Schritten stürmte sie die zwei Treppen hoch, angelte auf dem Weg nach oben die Schlüssel aus ihrer schwarzen Lederhandtasche, schloss die mit der Zeit nachgedunkelte schwere Holztür mit dem Spion auf Brusthöhe auf und betrat die Wohnung. Sie nahm sich vor, nicht zu schimpfen und ruhig mit der Tochter zu reden. Aber Katharina war nicht da. Die Enttäuschung machte Marta hilflos und die Hilflosigkeit zornig.
Die Teller und Becher in der
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