Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Spülmaschine verrieten ihr, dass ihre Tochter das Frühstück gemacht und danach die Küche aufgeräumt hatte. Ein Telefonat mit der Privatschule informierte sie, dass Benjamin pünktlich abgegeben worden war. Aber wo steckte Katharina?
Im Zimmer der Tochter auf und ab laufend, zerbrach Marta sich den Kopf darüber. Kurz erwog sie, Katharinas Sachen zu durchsuchen, verwarf den Gedanken allerdings angewidert. Das wollte sie ihr und sich selbst nicht antun. Dann hielt sie es nicht mehr zu Hause aus. Sie musste irgendetwas tun, und wenn es noch so sinnlos wäre, aber das Warten brachte sie um den Verstand. Nur, wo sollte sie mit der Suche beginnen? Marta lief die Lieblingsecken ihrer Tochter in Altona ab, zumindest die, die sie kannte, den Spielplatz, den Markt. Vergebens. Von Sorge gepeinigt trieb es sie zur Reeperbahn. Während sie die berüchtigte Straße mit ihren Sex-Angeboten entlanglief, die ein wenig wie Ramschangebote im Schlussverkauf wirkten, überkam sie das beschämende Gefühl, einem Boulevardzeitungsklischee aufzusitzen. Junges Mäd chen von Zuhälter verführt. Die Vorstellung erschien ihr so abgeschmackt wie die Tatsache, dass sie Katharina hier zu finden hoffte. Ihre Tochter mochte vielleicht ein aufmüpfiger Teenager sein, blöd war sie deshalb aber nicht. Plötzlich kam ihr ein Gedanke, diffus, wenig wahrscheinlich, aber auf krude Art zwingend. Verkroch Katharina sich vielleicht in Kindheitserinnerungen, flüchtete sie vielleicht in eine Zeit, als die Welt für sie noch in Ordnung schien und sie eine richtige Familie waren?
Marta rannte zu ihrem Wagen zurück, rammte beinah die linke Stoßstange des vor ihr parkenden Mercedes und kämpfte sich durch den träge fließenden Stadtverkehr zu Hagenbecks Tierpark im Norden der Stadt durch. Früher hatte Katharina diesen Ort geliebt. Wie oft hatte Marta den Tierpark mit den Kindern besucht, und nicht nur sie, auch ihr Mann. Zeitweilig besaßen sie sogar eine Dauerkarte.
Zielsicher lenkte sie ihre Schritte zu den Eisbären. Und da kauerte sie allein auf der Bank, wie ein Häuf chen Elend, die Hände tief in die Ärmel des Parkas zurückgezogen, den Kopf zwischen die Schultern ge klemmt, der Rücken halbrund wie die Sichel des Mon des. Marta setzte sich neben sie, doch Katharina würdigte sie keines Blickes, als wäre ihre Mutter eine fremde Frau. Einzig das Bearbeiten der Lippen mit den Zähnen verriet die Erregung des Mädchens. Marta suchte nach den richtigen Worten. Sie fürchtete, mit dem falschen Wort alles zu verderben, deshalb schwieg sie. Sie hatte sie ja gefunden, sie waren ja jetzt beieinander, das musste fürs Erste genügen. In gewisser Weise genoss Marta die Situation, die körperliche Nähe trotz aller Ferne, die Ruhe.
Nach einer Weile hielt es Katharina nicht mehr aus. »Musst du denn nicht in der Klinik sein? Leben retten?«, fragte sie, und es klang so, als wollte sie sagen: Wegen mir musst du nicht hier sein.
»Ich habe Urlaub genommen!«
»Viel Spaß.«
»Den werden wir haben. Ein paar Tage Luftveränderung werden uns guttun«, entgegnete Marta fest.
»Du willst verreisen?« Sie hatte mit dieser Ankündigung allerdings nicht nur ihre Tochter, sondern auch sich selbst überrascht. »Wohin?«
»Wart’s ab.« Die Idee, die Stadt für ein paar Tage zu verlassen, ähnelte eher einer Flucht als einer gereiften Überlegung. Marta wollte einfach nur weg. Sie ertappte sich dabei, dass auch sie sich nach den alten Zeiten zu rücksehnte, in denen ihre Welt noch heil war. Damals hatte sie die Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen aufgegeben, weil sie mit Katharina schwanger war. Während Alexander im Klinikum anfing, richtete sie die Wohnung ein und ging, wenn sie etwas Ruhe und Erholung brauchte, hierher, wie später auch mit den Kindern. Am liebsten aber hatten sie die Eisbären, auch wenn man sie nicht immer sah, weil sie sich, wie Katharina mit drei Jahren feststellte, »verkrümelt« hatten. Und jetzt, zehn Jahre später, saßen sie wieder hier.
»Hast du dir schon eine Strafe für mich überlegt?«, fragte Katharina schließlich in gelangweiltem Ton, als frage sie aus reiner Höflichkeit, weil keine Bestrafung sie wirklich treffen könnte, es sich aber nun einmal so gehörte. Wie um ihrer Mutter einen Gefallen zu tun.
Es begann zu regnen, sie rührten sich beide jedoch nicht von der Stelle, als könnte das Wasser ihnen nichts anhaben. »Die letzte Zeit war Strafe genug für uns. Wir haben uns einen Urlaub verdient.«
»Taschengeldentzug
Weitere Kostenlose Bücher