Das Geheimnis der Schnallenschuhe
stehen. Er sah sie – er sah die Falle deutlich, in die er um ein Haar gegangen war!
Ein schlau gelegter Strick – Seile zum Netz ausgebreitet – eine offene Grube zu seinen Füßen – sorgfältig angelegt, auf dass er hineinfallen sollte.
Wie ein Verzückter blieb Hercule Poirot mit offenem Munde stehen und starrte ins Leere. Er stand immer noch da, als die Gemeinde schon geräuschvoll ihre Plätze eingenommen hatte. Jane Olivera zerrte ihn am Ärmel und zischte: «Setzen Sie sich doch!»
Hercule Poirot setzte sich. Ein bejahrter Geistlicher mit Vollbart begann zu predigen. Aber Poirot hörte nichts von der Züchtigung der Amalekiter. Er befand sich in einer anderen Welt – einer herrlichen Welt, in der unzusammenhängende Dinge wild kreisten und sich dann säuberlich am richtigen Ort niederließen.
Es war wie ein Kaleidoskop: Schuhschnallen, Strümpfe Nummer zehn, ein zerschmettertes Gesicht, der schlechte literarische Geschmack Alfreds, des Boys, die Umtriebe des Mr Amberiotis, die Rolle des verstorbenen Zahnarztes Morley – all das flatterte auf, wirbelte im Kreis und gruppierte sich schließlich zu einem zusammenhängenden, übersichtlichen Ganzen. Zum ersten Mal betrachtete Hercule Poirot den Fall von der richtigen Seite.
«Denn Ungehorsam ist eine Zaubereisünde, und Widerstreben ist Abgötterei und Götzendienst. Weil du nun des Herrn Wort verworfen hast, hat er dich auch verworfen, dass du nicht König seist. Hier endet der erste Abschnitt…», schloss der bejahrte Geistliche.
Wie ein Träumender erhob sich Hercule Poirot, um den Herrn im Te Deum zu preisen.
7
P oirot machte in Hampstead einen zweiten Besuch bei Miss Sainsbury Seales Bekannten. Mrs Adams war über seine Erscheinung vielleicht etwas erstaunt. Obwohl ein Chefinspektor von Scotland Yard sozusagen für ihn gebürgt hatte, betrachtete sie ihn dennoch als einen «sonderbaren kleinen Ausländer» und nahm ihn nicht ganz ernst. Sie war aber gern zu weiteren Auskünften bereit. Nach den ersten sensationellen Veröffentlichungen über die Identität des Opfers waren die Ergebnisse der Totenschau vom Publikum ohne besonderes Interesse aufgenommen worden. Es hatte sich eben um eine Personenverwechslung gehandelt: die Leiche von Mrs Chapman war für die von Miss Sainsbury Seale gehalten worden. Mehr wusste die Öffentlichkeit nicht. Die Tatsache, dass Miss Sainsbury Seale vermutlich die letzte Person war, die Mrs Chapman lebend gesehen hatte, wurde nicht hervorgehoben. Die Presse machte nicht die geringste Andeutung, dass Miss Sainsbury Seale möglicherweise wegen eines Kapitalverbrechens polizeilich gesucht wurde.
Mrs Adams war ein Stein vom Herzen gefallen, als sie erfahren hatte, dass die unter so dramatischen Umständen entdeckte Leiche nicht die ihrer Freundin gewesen war. Anscheinend entging ihr vollständig, dass Mabelle Sainsbury Seale einen schweren Verdacht auf sich geladen hatte.
«Aber es ist höchst eigenartig, dass sie so spurlos verschwunden ist. Ich habe das ganz bestimmte Gefühl, M. Poirot, dass sie das Gedächtnis verloren haben muss. Amnesie, glaube ich, nennen die Ärzte das.»
Poirot sagte, er glaube auch, dass dies der medizinische Ausdruck sei. Nach einer Pause fragte er Mrs Adams, ob sie Miss Sainsbury Seale jemals von Mrs Albert Chapman sprechen gehört habe. – Nein, Mrs Adams konnte sich nicht entsinnen, dass ihre Freundin diesen Namen je erwähnt hätte. Aber natürlich war nicht zu erwarten, dass Miss Sainsbury Seale im Gespräch über ihre sämtlichen Bekannten berichten würde. Wer war diese Mrs Chapman? Hatte die Polizei irgendeinen Anhaltspunkt, wer sie ermordet haben könnte?
«Es ist nach wie vor ein Rätsel, Madame.»
Poirot schüttelte den Kopf und fragte dann, ob es Mrs Adams gewesen sei, die Miss Sainsbury Seale den Zahnarzt Morley empfohlen hatte.
Mrs Adams verneinte. Ihr Zahnarzt war ein Mr French in der Harley Street, und wenn Mabelle sie nach einem Zahnarzt gefragt hätte, so hätte sie ihr diesen empfohlen.
Poirot meinte, möglicherweise sei es diese Mrs Chapman gewesen, die Miss Sainsbury Seale zu Morley geschickt habe.
Mrs Adams pflichtete ihm bei – aber wusste man nicht vielleicht in der Praxis des verstorbenen Mr Morley Näheres darüber?
Poirot hatte diese Frage schon Miss Nevill gestellt, und zwar vergeblich. Sie erinnerte sich an Mrs Chapman, glaubte aber nicht, dass diese jemals eine Miss Sainsbury Seale erwähnt hatte – das wäre ihr angesichts des ungewöhnlichen
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