Das Geheimnis der Schnallenschuhe
liebenswürdig.
Howard Raikes aber stand auf. «Ich bin nicht zum Plaudern aufgelegt, Jane», sagte er. «Ich glaube, ich werde gehen.» Er nickte Poirot kurz zu und schlenderte davon. Jane Olivera sah ihm nach, ihr Kinn in die Hand gestützt. Plötzlich wandte sie sich zu Poirot. «Ich möchte Sie um Verzeihung bitten. Neulich habe ich mich sehr schlecht benommen. Ich dachte, Sie hätten sich bei uns eingeschlichen und seien nur nach Exsham gekommen, um Howard nachzuspionieren. Aber später erzählte mir Onkel Alistair, dass er Sie ausdrücklich eingeladen hatte, weil er die Geschichte mit der verschwundenen Sainsbury Seale aufgeklärt haben wollte. So ist es doch gewesen?»
«Genau so.»
«Es tut mir also Leid, was ich Ihnen damals an dem Abend gesagt habe. Aber es sah ganz so aus, verstehen Sie. Ich meine: Es sah so aus, als ob Sie wirklich Howard gefolgt wären und uns beiden nachspionierten.»
«Selbst wenn das der Fall gewesen wäre, Mademoiselle – so habe ich doch mit eigenen Augen gesehen, dass Mr Raikes Ihrem Onkel mutig das Leben rettete, indem er auf den Attentäter zusprang und ihn hinderte, einen zweiten Schuss abzufeuern.»
«Sie haben eine seltsame Art zu sprechen, M. Poirot. Ich weiß nie, ob Sie es ernst meinen oder nicht.»
Poirot sagte feierlich: «Im Augenblick meine ich es sehr ernst, Miss Olivera.»
Mit einem leichten Zittern in der Stimme fragte Jane: «Warum schauen Sie mich so an? Als ob – als ob ich Ihnen leid täte?»
«Vielleicht, Mademoiselle, weil mir die Dinge Leid tun, die ich sehr bald tun muss…»
«Nun, dann machen Sie sie doch nicht!»
«Leider, Mademoiselle, muss es sein…»
Sie sah ihn eine Weile an. Dann fragte sie: «Haben Sie – die Frau gefunden?»
«Sagen wir: Ich weiß, wo sie ist.»
«Ist sie tot?»
«Das habe ich nicht gesagt.»
«Dann lebt sie also?»
«Auch das habe ich nicht gesagt.»
Jane warf ihm einen gereizten Blick zu.
«Nun, eins von beiden muss sie doch sein, nicht wahr?»
«In Wirklichkeit liegen die Dinge nicht so einfach.»
«Ich glaube, Sie neigen einfach dazu, alles künstlich zu komplizieren!»
«Das behauptet man von mir», gab Poirot zu.
Ein Frösteln überlief Jane. «Ist das nicht komisch? Ein herrlicher, warmer Tag – und doch ist mir plötzlich kalt», murmelte sie.
«Vielleicht sollten Sie lieber ein Stück gehen, Mademoiselle.»
Jane erhob sich und stand einen Augenblick unentschlossen da. Dann stieß sie hervor: «Howard wünscht, dass wir heiraten. Sofort. Ohne dass jemand es weiß. Er meint – er meint –, nur auf diese Weise würde ich es jemals tun. Er findet, ich sei schwach.»
Sie brach ab und packte mit erstaunlicher Kraft Poirot am Arm. «Was soll ich tun, M. Poirot?»
«Warum fragen Sie gerade mich um Rat? Es gibt doch Menschen, die Ihnen näher stehen?»
«Mutter? Die würde bei dem bloßen Gedanken daran in Schreikrämpfe ausbrechen! Und Onkel Alistair? Der wäre vorsichtig und prosaisch. ‹Lass dir noch Zeit, meine Liebe. Erst wenn du deiner Sache ganz sicher bist, verstehst du. Bisschen sonderbarer Vogel, dein Verehrer. Hat keinen Zweck, die Dinge zu überstürzen.›»
«Und Ihre Freunde?», schlug Poirot vor.
«Ich besitze keine Freunde. Nur viele blöde Bekannte, mit denen ich trinke und tanze und mich in sinnlosem Geschwätz ergehe! Howard ist der einzige Mensch aus Fleisch und Blut, dem ich je begegnet bin.»
«Trotzdem – warum fragen Sie gerade mich, Miss Olivera?»
«Weil Sie ein so sonderbares Gesicht machen – als ob Ihnen etwas Leid täte, als ob Sie wüssten, dass etwas Unvermeidliches herannaht…» Sie brach ab. «Nun?», fragte sie: «Was meinen Sie?»
Hercule Poirot schüttelte langsam den Kopf.
Als Poirot zu Hause anlangte, meldete ihm George: «Chefinspektor Japp wartet auf Sie, Monsieur.»
Japp lachte etwas verlegen, als Poirot das Zimmer betrat.
«Da bin ich, alter Freund! Bin nur vorbeigekommen, um Ihnen meine Bewunderung auszudrücken! Wie machen Sie das nur? Wie kommen Ihnen solche Einfälle?»
«Und mit alledem wollen Sie sagen…? Pardon, darf ich Ihnen nicht irgendeine Erfrischung anbieten? Vielleicht Wein? Oder lieber Whisky?»
«Für mich ist Whisky gut genug.»
Ein paar Minuten später erhob er sein Glas und sagte: «Auf das Wohl von Hercule Poirot, der immer Recht hat!»
«Nein, nein, mon ami…»
«Da hatten wir nun einen wunderbaren Selbstmordfall. H. P. behauptet, es sei Mord – er wünscht, dass es Mord sein soll –, und tatsächlich: Es ist
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