Das Geheimnis der Schnallenschuhe
Namens bestimmt nicht entgangen.
Poirot fuhr fort mit seinen Fragen. Mrs Adams hatte Miss Sainsbury Seale in Indien kennen gelernt, nicht wahr? Mrs Adams bejahte das.
Wusste Mrs Adams etwas davon, ob Miss Sainsbury Seale dort irgendwann die Bekanntschaft von Mr oder Mrs Alistair Blunt gemacht hatte?
«Oh, das glaube ich nicht, M. Poirot. Sie meinen doch den großen Finanzmann? Der war vor einigen Jahren mit seiner Frau auf Besuch beim Vizekönig, aber ich bin überzeugt, dass Mabelle mir erzählt hätte, wenn sie den Blunts irgendwo begegnet wäre. Ich glaube», fügte Mrs Adams lächelnd hinzu, «die prominenten Leute erwähnt man doch immer. Wir sind im Grunde genommen alle große Snobs.»
«Und die Blunts – besonders Mrs Blunt – hat sie nie erwähnt?»
«Niemals.»
«Wenn sie eine gute Bekannte von Mrs Blunt gewesen wäre, hätten Sie wahrscheinlich davon gewusst?»
«Ja, ganz bestimmt. Ich glaube nicht, dass sie Leute dieses Ranges überhaupt gekannt hat. Mabelles Freunde waren alles ganz gewöhnliche Menschen – wie Sie und ich…»
«Das, Madame, kann ich nicht zugeben», sagte Poirot galant.
Mrs Adams fuhr fort, über Mabelle Sainsbury Seale zu sprechen, wie man über eine Freundin spricht, die kürzlich gestorben ist. Sie zählte alle guten Werke Mabelles auf, ihre Freundschaftsdienste, ihre unermüdliche Arbeit für die Mission, ihren Eifer, ihren Ernst.
Hercule Poirot hörte ihr zu. Es stimmte, was Japp gesagt hatte: Mabelle Sainsbury Seale war ein Mensch aus Fleisch und Blut. Sie hatte in Kalkutta gelebt, dort Sprachunterricht gegeben und unter der indischen Bevölkerung gearbeitet. Sie war achtbar und wohlwollend gewesen, vielleicht ein bisschen umständlich und nicht sehr klug, aber das, was man einen Menschen mit goldenem Herzen zu nennen pflegt.
Er verabschiedete sich von Mrs Adams und ging fort, tief in Gedanken versunken. Er versuchte, Mabelle Sainsbury Seales Charakter zu ergründen.
Eine nette Frau – eine ernsthafte und gütige Frau –, eine achtbare, anständige Person. Gerade unter solchen Menschen konnte man, wie Mr Barnes behauptet hatte, mögliche Verbrechernaturen finden.
Sie war auf dem gleichen Schiff aus Indien heimgereist wie Mr Amberiotis. Es bestand Grund zu der Annahme, dass sie mit ihm im Savoy zu Mittag gegessen hatte.
Sie hatte Alistair Blunt angesprochen und behauptet, eine gute Bekannte seiner Frau gewesen zu sein. Sie hatte zweimal die King Leopold Mansions aufgesucht, wo später eine verstümmelte Leiche aufgefunden worden war, die ihre Kleider trug und ihre Handtasche bei sich hatte – zur bequemeren Identifizierung!
Ein bisschen allzu bequem, das! Nach einem Polizeiverhör hatte sie ganz plötzlich ihr Hotel verlassen.
Konnte die Theorie, die Hercule Poirot für richtig hielt, sich mit allen diesen Einzelheiten vertragen und sie erklären? Er hielt es für möglich.
Diese Überlegungen beschäftigten Hercule Poirot auf dem ganzen Weg, bis er Regent’s Park erreichte. Er beschloss, einen Teil des Parks zu Fuß zu durchqueren, ehe er ein Taxi nahm. Aus Erfahrung konnte er fast auf die Minute den Augenblick berechnen, da seine eleganten Lackschuhe ihn unerträglich zu drücken anfingen. Es war ein wundervoller Sommertag, und Poirot schaute zufrieden den Kindermädchen zu, die schwatzend und kichernd mit ihren Verehrern schäkerten, während ihre Schützlinge aus der Unaufmerksamkeit ihrer Betreuerinnen vollsten Nutzen zogen.
Hunde bellten und jagten umher. Kleine Buben ließen Segelboote schwimmen. Und fast unter jedem Baum saß ein Paar, das sich eng aneinander schmiegte…
«Ah – jeunesse, jeunesse » , murmelte Hercule Poirot, den dieses Bild angenehm berührte. Während sein Blick wohlwollend auf einem jungen Paar ruhte, wurde ihm plötzlich klar, dass ihm die zwei Menschen bekannt vorkamen. Es waren Jane Olivera und ihr junger amerikanischer Revolutionär.
Poirots Gesicht wurde plötzlich traurig und ernst. Nach kurzem Zögern schritt er über das Gras auf die beiden zu.
« Bonjour, Mademoiselle!», sagte er.
Es war ihm, als sei sein Auftauchen Jane nicht ganz unlieb. Howard Raikes dagegen schien sich über die Störung ziemlich zu ärgern. Er knurrte: «Ach – da sind Sie ja schon wieder!»
«Guten Tag, M. Poirot», sagte Jane. «Wie unerwartet Sie immer erscheinen!»
«Eine Art Springteufel», murrte Raikes, der Poirot mit kühlem Blick musterte.
«Störe ich?», fragte Poirot besorgt.
«Keineswegs», antwortete Jane
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