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Das Geheimnis der Schnallenschuhe

Das Geheimnis der Schnallenschuhe

Titel: Das Geheimnis der Schnallenschuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gesehen hätte – warum hat sie es dann nicht schon längst gesagt?»
    Hercule Poirot erwiderte ruhig: «Sie hat es damals sofort der Köchin gegenüber erwähnt. Beide haben sich Sorgen darüber gemacht, waren bestürzt und wussten nicht, was sie tun sollten. Als der amtliche Spruch auf Selbstmord lautete, waren sie sehr erleichtert und hielten es für unnötig, auf die Beobachtung des Stubenmädchens zurückzukommen.»
    «Ich glaube kein Wort von alledem! Die beiden haben sich gegen mich verschworen, das ist alles. Ein paar dreckige, verlogene kleine…»
    Er verlor sich in wütenden Beschimpfungen.
    Hercule Poirot wartete. Als Carters Redestrom versiegte, begann Poirot von neuem zu sprechen, immer noch im gleichen ruhigen, gemessenen Ton.
    «Zorn und törichte Beschimpfungen werden Ihnen nichts nützen. Die beiden Mädchen werden ihre Aussage machen, und man wird ihnen Glauben schenken. Denn, sehen Sie: Die Mädchen sprechen die Wahrheit. Agnes Fletcher hat Sie wirklich gesehen, Carter. Sie haben zur angegebenen Zeit auf der Treppe gestanden. Sie hatten das Haus nicht verlassen. Und Sie sind in Morleys Sprechzimmer gegangen.»
    Nach einer Pause fragte er: «Und was war dann?»
    «Ich sage Ihnen doch: Es ist alles erlogen!»
    Hercule Poirot fühlte sich sehr müde – sehr alt. Frank Carter gefiel ihm nicht. Er missfiel ihm sogar aufs äußerste. Nach seiner Meinung war Frank Carter ein brutaler Bursche, ein Lügner, ein Schwindler – ein Individuum, ohne das die Welt sehr gut auskommen konnte. Er, Hercule Poirot, brauchte sich nur still zu verhalten und diesen jungen Mann weiter seine Lügen erzählen lassen – dann würde die Erde bald einen ihrer unerfreulichsten Bewohner los sein.
    Hercule Poirot sagte: «Ich schlage vor, dass Sie mir die Wahrheit sagen.»
    Worum es in diesem Kampf ging, war ihm durchaus klar. Frank Carter war dumm, aber immerhin schlau genug, zu erkennen, dass hartnäckiges Leugnen seine beste und sicherste Taktik war. Hatte er einmal zugegeben, das Sprechzimmer sechsundzwanzig Minuten nach zwölf betreten zu haben, dann befand er sich in höchster Gefahr. Denn nach diesem Eingeständnis musste er befürchten, dass alles, was er noch erzählte, mit großer Wahrscheinlichkeit als Lüge betrachtet würde. Er sollte also ruhig beim Leugnen bleiben. In diesem Fall war Hercule Poirots Aufgabe erledigt. Frank Carter würde höchstwahrscheinlich als Mörder Henry Morleys gehängt werden. Hercule brauchte nur aufzustehen und hinauszugehen.
    Frank Carter wiederholte: «Es ist alles gelogen!»
    Eine Pause entstand. Hercule Poirot stand nicht auf und ging nicht hinaus. Er hätte es gern getan, sehr gern. Trotzdem blieb er. Er beugte sich vor. In seiner Stimme lag die bezwingende Kraft seiner starken Persönlichkeit, als er sagte: «Ich lüge nicht, Carter. Ich bitte Sie, mir zu glauben. Wenn Sie Morley nicht umgebracht haben, dann besteht Ihre einzige Chance darin, mir die volle Wahrheit zu gestehen.»
    Das unehrliche, charakterlose Gesicht ihm gegenüber zuckte und verriet Unsicherheit. Frank Carter zupfte sich an der Lippe. Seine Augen irrten hin und her: die Augen eines geängstigten, in die Enge getriebenen Tieres. Es ging jetzt auf Biegen oder Brechen.
    Und plötzlich, überwältigt von der Stärke der Persönlichkeit des Gegners, gab Frank Carter den Kampf auf. Er sagte mit heiserer Stimme: «Also gut – ich will es Ihnen erzählen. Aber Gott soll Sie strafen, wenn Sie mich betrügen! Ich bin hineingegangen. Ich ging die Treppe hinauf und habe gewartet, bis ich sicher war, ihn allein zu treffen. Habe dort gestanden, oberhalb von Morleys Etage. Dann ist einer herausgekommen und die Treppe hinuntergegangen – so ein Dicker. Ich habe noch eine Weile überlegt, ob ich jetzt hineingehen sollte – da ist noch einer aus dem Sprechzimmer herausgekommen und hinuntergegangen. Dann bin ich los und ohne anzuklopfen reingegangen. Ich war fest entschlossen, es mit ihm auszufechten. Mich mit Dreck zu bewerfen, meine Braut gegen mich aufhetzen – verdammt noch einmal…» Er brach ab.
    «Ja?», sagte Hercule Poirot, und seine Stimme klang drängend – zwingend.
    Carters Stimme wurde zu einem Krächzen.
    «Und da lag er vor mir – tot! Das ist die Wahrheit – ich schwöre es! Hat dagelegen, genau wie es bei der Leichenschau ausgesagt worden ist. Ich habe es zuerst nicht glauben können – habe mich über ihn gebeugt. Aber er war mausetot. Seine Hand war eiskalt, und ich habe den Einschuss im Kopf

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