Das Geheimnis der Schnallenschuhe
nickte Poirot nachdrücklich.
«Ja, mein Freund, aus genau diesem Grund.»
«Und Sie glauben, dass er es Ihnen sagen wird, falls er der Täter war?»
Japp sagte es lachend. Aber Poirot blieb ernst, als er antwortete: «Ja, vielleicht wird er es mir sagen.»
Japp sah ihn unsicher an.
«Wissen Sie, Poirot, ich kenne Sie nun schon so lange – sind es zwanzig Jahre? Ja, ungefähr. Aber immer noch ist mir manchmal nicht klar, worauf Sie hinauswollen. Ich weiß, dass Sie sich über den jungen Frank Carter Flausen in den Kopf gesetzt haben. Aus irgendeinem Grund wünschen Sie nicht, dass er schuldig ist.»
Hercule Poirot schüttelte energisch den Kopf.
«Nein, nein – da irren Sie sich. Die Sache liegt umgekehrt.»
«Ich dachte, es wäre vielleicht wegen seinem Mädchen. In mancher Beziehung sind Sie ein sentimentaler alter Junge.»
Jetzt war Poirot ehrlich empört.
«Nicht ich bin es, der sentimental ist? Das ist eine englische Schwäche! Es ist in England, wo über liebende junge Mädchen, über sterbende Mütter und aufopferungsvolle Kinder geweint wird. Ich – ich bin logisch. Wenn Frank Carter ein Mörder ist, dann bin ich bestimmt nicht sentimental genug, um ihn mit einem netten, aber alltäglichen Mädchen verheiraten zu wollen, das ihn, falls er gehängt wird, in längstens zwei Jahren vergessen hat und einen anderen Mann findet und mit ihm glücklich wird.»
«Warum wollen Sie dann nicht glauben, dass er schuldig ist?»
«Im Gegenteil: Ich möchte sehr gern glauben, er sei schuldig.»
«Sie denken vermutlich, Sie seien auf etwas gestoßen, das mehr oder weniger schlüssig seine Unschuld beweist? Warum verschweigen Sie das dann? Sie sollten ehrliches Spiel mit uns spielen, Poirot!»
«Ich spiele ehrliches Spiel mit Ihnen. Bald, sehr bald, werde ich Ihnen Namen und Adresse einer Zeugin nennen, die für die Anklage von unschätzbarem Wert ist. Ihre Aussage dürfte den Fall Carter abschließen.»
«Ja, aber dann – ach, Sie haben mich total verwirrt. Warum wollen Sie ihn unbedingt sprechen?»
«Um selbst ganz sicher zu gehen», sagte Hercule Poirot.
Und mehr war nicht aus ihm herauszubringen.
Frank Carter, hohlwangig, blass und immer noch leicht prahlerisch, sah den unerwarteten Besucher mit unverhohlener Abneigung an.
«Also Sie sind es, Sie verdammter kleiner Ausländer? Was wollen Sie von mir?»
«Ich wollte Sie sehen und mit Ihnen sprechen.»
«Nun, sehen können Sie mich ja jetzt. Aber sprechen werde ich nicht. Jedenfalls nicht ohne meinen Anwalt. Das ist mein gutes Recht, nicht wahr? Dagegen können Sie nichts machen. Ich habe das Recht, jede Aussage zu verweigern, wenn mein Anwalt nicht dabei ist.»
«Gewiss haben Sie dieses Recht. Wenn Sie wollen, können Sie ihn kommen lassen – aber es wäre mir lieber, Sie täten es nicht.»
«Das kann ich mir denken. Sie wollen mich wohl in irgendeine Falle locken, oder?»
«Vergessen Sie nicht, dass wir ganz allein sind.»
«Gerade das kommt mir ein bisschen ungewöhnlich vor. Möchte wetten, dass Ihre Freunde von der Polizei mithören.»
«Da sind Sie im Irrtum. Es handelt sich um ein ganz privates Gespräch zwischen uns beiden.»
Frank Carter stieß ein unangenehmes, schlaues Lachen aus.
«Hören Sie auf! Mit dem alten Trick können Sie mich nicht reinlegen!»
«Erinnern Sie sich an ein Mädchen namens Agnes Fletcher?»
«Nie gehört.»
«Ich glaube, Sie werden sich doch an sie erinnern, obwohl Sie wahrscheinlich nicht viel Notiz von ihr genommen haben. Sie war Stubenmädchen in der Queen Charlotte Street 58.»
«Und…?»
Hercule Poirot sagte langsam: «An dem Vormittag, da Mr Morley erschossen wurde, hat diese Agnes zufällig vom obersten Stockwerk über das Treppengeländer hinuntergeschaut. Sie hat Sie – Frank Carter – wartend und lauschend auf der Treppe gesehen. Sie sah auch, dass Sie schließlich in Mr Morleys Sprechzimmer gingen. Es zwar ziemlich genau sechsundzwanzig Minuten nach zwölf.»
Frank Carter begann heftig zu zittern. Der Schweiß brach ihm aus. Seine Blicke, tückischer denn je, irrten angstvoll hin und her. Zornig schrie er: «Das ist eine Lüge! Eine verdammte Lüge! Sie haben sie bestochen – die Polizei hat sie bestochen, damit sie gegen mich aussagt!»
«Um diese Zeit», fuhr Hercule Poirot ruhig fort, «hatten Sie nach Ihrer eigenen Angabe das Haus bereits verlassen und gingen die Marylebone Road entlang.»
«Ja, das stimmt auch. Das Mädchen lügt. Sie kann mich nicht gesehen haben. Wenn sie mich
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