Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Deutschen noch immer der richtige Name gesucht wird, haben die Russen überall die echt russische Bezeichnung: ›Parikmacher‹ (Perückenmacher). Das Schmuckstück der männlichen Kleidung, über dessen deutsche Benennung wir uns in Deutschland ebenfalls noch die Köpfe zerbrechen, heißt bei den Russen einfach ›Galstuck‹ (Halsstück), Mehrzahl ›Galstuki‹. Tritt ein fremder Künstler in einem Theater auf, so gibt er ›Gastroli‹ usw.«
Was ja alles schließlich nicht sehr absonderlich erscheint in Betracht des deutschen Einflusses, der sich ja auch in Dutzenden deutscher, auf russischem Boden gedruckter Zeitungen zu erkennen gibt. Die kleine Auslese soll nur zeigen, daß aus allen Weltecken her die Nörgler zu widerlegen sind, wenn sie uns immer wieder einen unvölkischen Frevel um die Ohren schlagen, dessen nur wir, wir allein unter allen Erdenvölkern, fähig sein sollen.
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Es gibt Anekdoten mit treffender Scherzmoral, die das Wesen gewisser Übersetzungskünste genauer kennzeichnen als jede Fachkritik. Der Feldwebel korrigierte einen Einjährigen, der im Dienst von einem abrupten Befehl gesprochen hat: »Et heißt nich abrupt, et heißt: abjeruppt!« Die Verdeutschung des Feldwebels ist nämlich, so komisch sie auch klingt, wertvoller als die aller Wörterbücher, da sie allein sachliche und etymologische Richtigkeit vereinigt: Die Kommandoworte sind aus einem ausführlicher gedachten Befehl herausgerupft, wie die Federn aus einem Vogelhals, und tatsächlich ist dieser Zusammenhang in abrumpo, abruptus kenntlich, wofür in den römischen Klassikern Belege zu finden. –
Aus einer Synagoge ist ein »Schofar« gestohlen worden, jenes eigentümliche Blasinstrument, das an hohen Feiertagen rituellen Zwecken dient. Der Synagogenvorstand wird vom Richter nachdrücklich bedrängt, den Gegenstand zu erklären. Immer wieder behauptet der Zeuge, ein »Schofar« sei eben ein »Schofar«; schließlich bequemt er sich zu der Übersetzung: – »e Trompeten.« »Nun, sehen Sie, wie Sie es mit einem Mal erklären können –, warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« – »Herr Richter, nu, is es denn e Trompeten?«
Diesem Blasinstrument lassen sich hundert fremdsprachige, sogar fast eingedeutschte Dinge und Begriffe zur Seite stellen. Sie lassen sich, wenn es durchaus verlangt wird, zur Not in Übersetzungen auflösen, ergeben aber dabei trübe Rückstände und Niederschläge. Für »Revolver« z. B. kann man sagen »Drehschießeisen«, für »Radium« Strahlstoff, und für den Augenblick mag's hingehen. Schließlich aber kommt doch einmal die Frage: ist es denn ein Drehschießeisen? ist es denn ein Strahlstoff?
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Die Sprache soll sterilisiert, entkeimt, von schädlichen Bakterien befreit werden. Wäre es möglich, was wäre der Erfolg? Das Wort selbst gibt die Antwort; denn sterilisieren bedeutet auch steril, unfruchtbar machen. Und die Physiologie ergänzt, daß mit der Abtötung aller Bazillen auch der Organismus selbst zum Tode verurteilt würde. Ein kreisender Saft kann durch Sporen und Kokken erkranken; er muß verderben, wenn aus ihm sämtliche Mikroben herausgetrieben werden.
Ein anderer Bildvergleich führt auf die Symbiose von Blume und Insekt. Wie häßlich, dieser kleine brummende Unhold, der die Blume belästigt und ihren besten Nährsaft fortträgt! Gewiß, man wird der Blume (der Heimatsprache) den größten Dienst erweisen, wenn man die wimmelnde Horde der Insekten (der Fremdworte) totschlägt. Nur daß man durch eben dieses Verfahren der lieben Pflanze eine unerläßliche Lebensbedingung entzieht. Sie stirbt aus, wenn kein Insekt vorhanden, das ihre Samenzellen abnimmt und zu anderen Geschlechtsorganen weiterträgt. So ist auch die Sprache, die deutsche, auf die schwirrenden Gewimmel der Fremdworte symbiotisch angewiesen. Sie sind die Liebesvermittler zwischen getrennten Werten und ermöglichen die Fortzeugung neuer Ausdrucksgebilde. Daraufhin prüfe man eine Menge von Neuprägungen in zusammengesetzten Ausdrücken; sie wären nie zustandegekommen, wenn nicht zuvor das Fremdwort zwischen den einzelnen Wortteilen gesummt hätte, Beiwort und Hauptwort hätten sich nicht umschlungen ohne den Kuppeldienst der vielverlästerten Fremdlinge.
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Wenn einer die sprachverseuchten oberen Zehntausend meidet, um sich beim niedern Volk anzusiedeln, so kann er zu seltsamen Erfahrungen gelangen. Gewiß, er wird in der Tiefschicht nichts zu hören bekommen von Synthesen, Prophylaxen,
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