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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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des auf Zeitüberfluß eingerichteten Verkehrs, und wir empfinden sie als unmittelbar begreiflich. Aber der in unsere Zeit hineingestellte Mensch von 1800 muß erst zu lernen anfangen, um über die Rätselhaftigkeit eines Bahnhofs, einer Telephonzentrale, eines Dynamowerkes hinwegzukommen, und vielleicht wird er den Bahnhof schneller begreifen als den Inhalt einer heutigen Zeitung.
    Oben im Leitartikel liest er von Männern, welche »die Klinke der Gesetzgebung« ergreifen, um eine neue »Wahlkreis-Geometrie« in Verbindung mit dem »Proporz« zu schaffen. Sie bereiten eine »Plattform«, um den »Schleichhandel mit Wahlstimmen« zu unterbinden und um zu verhüten, daß »reaktionärer Speck hintenherum in die Kammer geschleppt wird«. Was geht da vor? Was hat Klinke, Plattform und Speck mit Geometrie zu schaffen? Aber der Leser von Anno dazumal nimmt sich zusammen, er liest sich hinein und entdeckt schließlich einige Zusammenhänge. Bis zur genauen Erfassung des »Proporz« wird er zwar nicht vordringen, aber er ahnt doch, daß da von einer gewissen Neuordnung einer gewissen gesetzgebenden Körperschaft die Rede ist.
    Eine Frage wird »angeschnitten«; zu seiner Zeit wurden Würste angeschnitten, Fragen aber erörtert. Ein Gesetz wird »verabschiedet«, das heißt also, denkt er, weil es nichts taugte, bekam es als untauglich den Abschied. Weit gefehlt: es wurde angenommen, fiel nicht »unter den Tisch«, erhielt Gültigkeit. Verabschiedet bedeutet mithin: nicht verabschiedet. Ihm vorauf ging ein »Mantelgesetz«, und die Gültigkeit ergab sich durch einen »Hammelsprung«. Schwieriger Fall; um 1800 hatten die Gesetze keine Mäntel und standen in keiner Beziehung zu springenden Hammeln.
    Der Leitartikel spricht von Abgeordneten, welche »umfallen« und von anderen als den Nachfolgern der »Kanalrebellen«, welche »die Treppe hinauffielen«. Wie macht man das, und in welchem Kanal stehen für Rebellen solche der Schwerkraft entgegenwirkende Treppen? nicht zu ergründen.
    Der Leser blättert die Zeitung um und findet auf der Folgeseite wieder eine Unmenge von Ausdrücken, die in seinem alten Vokabular entweder gänzlich fehlten oder darin eine für die Neulesung unverwendbare Bedeutung hatten. Was Krieg ist, glaubt er zu wissen, die Ausdrücke »U-Boot-Krieg«, »Gasangriff«, »Trichtergelände« und Dutzende dazu blicken ihn als Fremdlinge an. Auf »Seegeltung« vermag er sich allenfalls einen Vers zu machen, die »Gulaschkanone« bleibt ein ungelöstes Rätsel. Er stößt auf »Hapag«, »Wumba« und »Flak«. Hundert Jahre angestrengten Nachdenkens würden ihn nicht auf die Spur bringen. Er fängt an sich zu erkundigen. »Flak«, so sagt man ihm, ist eine Abkürzung nach Anfangsbuchstaben und bedeutet: »Flugzeug-Abwehr-Kanone«. Da hat er die wörtliche Erklärung; aber bei Flugzeug denkt er an die alten friedlichen Maschinen von Montgolfier und Charles, und die Feindschaft zwischen Ballon und Kanone müßte ihm besonders erläutert werden.
    Mit halbem, viertel oder gar keinem Verständnis liest er: funken, Funker, Blindgänger, Autotempo, Autobus, Kintopp, Aufmachung, Überbrettl, Tintenkuli, Einpeitscher, Pendelverkehr, schlechte Kinderstube (vom erwachsenen Menschen), Kaffee Größenwahn, Kohlenhamster, Zwangsläufig, Kriegsgewinnler, Ufa, Malzschieberei, Kochkiste, Einwecken, Abbauen (Abbau von Zensur oder von Warenpreisen), Sinnfeiner, Streikposten, markenfrei, sich anstellen, Zigarrenpolonäse, Kurzschluß, Steuerflucht, Trust, Drahtung, Papierkontingent, Mehlstreckung, Überfremdung, Überalterung, Rechts- und Linksputschist, Iststärke, freibleibend und greifbar (von Waren), Flächigkeit (bei Gemälden), Hausbrand (im Sinne von Heizung), Zionist, Verreichlichung (wie Verstaatlichung), Treuhänder, Scharfmacher, und dazwischen wird er sogar von allgemein verständlichen Worten beunruhigt, wie: Errungenschaft, Findung, Fühlung, großzügig, abwegig, Schneid, ertüchtigt, Woller, Wollungen, Sehnsüchte, Auswirkungen, denn die schrankenlose Pluralbildung war zu seiner Zeit noch nicht im Schwange, und »Auswirkung« z. B. bedeutete damals etwas ganz anderes, nämlich das Erzielen einer Wirkung, während wir es heut mit dem inneren Ausreifen einer Fähigkeit gleichsetzen.
    Gerät er an Feuilletons mit Wissenschafts- und Kunstbehauch, so wird ihm oft genug zumute werden, als läse er Abhandlungen in ganz fremder Sprache. Die derberen Ausdrücke wie »Kitsch«, »Schinken«, »Schwimmen« (beim

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