Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Peripetien, Symbolismen, Paralogismen und solchem Zeug. Aber das Paradies der Reinheit wird sich auch bei den Unverbildeten nicht erschließen.
Der gemeine Mann leugnet noch heute die Plattform und das Abteil, er stellt sich auf den Perron, setzt sich ins Kupee, verlangt auf der Station ein Billett, fährt retour, geht in die Kantine, bestellt sich kein Ripplein, sondern Kotelette, Bulljon, Fisch in Aspik, Frikassee, plaudert mit dem Portier vom Toto, spielt mit dem Polier eine Karambole; für ihn heißt es unentwegt Montör, Schofför, Adresse, Kuvert, Alibi, Motor (Motohr), Trottoir, Rendezvous, Paraplü, pleite, meschugge, und seinem Feind, dem Filuh, der Karnaillje, haut er mit Forsche eins in die Fassade. Wobei festzuhalten, daß der gesamte Wortvorrat des gemeinen Mannes sehr gering ist, verglichen mit dem des Hochgebildeten. Eine Vergleichsberechnung läßt sich natürlich nicht aufstellen, allein alles spricht dafür, daß der Mann von der Gasse prozentual ebensoviel Welsch verbraucht, als der Mann der Gelehrtenstube.
Sollte die Reinheit in den kleinsten Orten, weit entfernt von den Mittelpunkten der Überbildung anzutreffen sein? denkbar wär's, wahrscheinlich ist es nicht. Ich schlage ganz aufs Geratewohl die »Urgeschicht von Mecklenborg« auf und finde da beim ersten Blick die Worte: Chronik, Avkaten (Advokaten), infam, Produkte, Manieren, Parteien, Cuntrebutschon (Kontribution), Collegen, Diplomatiker, das grundwüchsige Ackern wird noch verwelscht und heißt auf urmeckelnborgsch: ackerieren. Einem forschenden Fremdling könnte es in der kleinsten Kleinstadt begegnen, daß er vergebens nach dem »Bader« fragt; errät der Eingeborene den Wunsch, so erteilt er vielleicht die Auskunft: Zum »Barbier«? »direkt visavis«!
Unser herrlicher V-Vischer, von Haus aus ein Starkwelscher, hat sich in seinen Pfahldorfgeschichten alle erdenkliche Mühe gegeben, ein durchgesiebtes reines Urdeutsch hinzustellen; in den Reden, die er den Vorzeitlichen selbst in den Mund legte, also Menschen, die vor Jahrtausenden, in der Steinzeit, lebten, und von Humanisterei und Französelei ganz gewiß noch nicht angesteckt sein konnten. Er bemerkt zudem ausdrücklich, daß seine Pfahlmänner jedes fremdländische Wort verabscheuten. Aber auch sie verfielen ins lehnwörteln und fremdwörteln, in ihren pfahlbäuerischen Reden gibt es »Religion«, »phantastisch«, »trivial«, »Produkt«, »dogmatisch«, »Ära«, »Poesie«, »Exekution«, usw.
In den deutschen Hochalpen strecken sich unberührte Seitentäler, zu denen keine Stimme der Außenwelt dringt. Seitlich vom Pflerschtal leben Älpler, deren ganzer Sprechvorrat aus wenig Dutzenden Worten besteht, die nur in engster Umgebung verstanden werden. Vielleicht sind diese Weltabgeschiedenen die Inhaber der ersehnten Reinheit. An der Grenze der Stummheit kann die Sprache wohl nicht merklich verludert, vermanscht und verschmuddelt werden.
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Es gibt Leute, die der Sprachkrankheit von unten herauf beikommen wollen, anfangend bei der unzerlegbaren Sprachzelle, beim Buchstaben. So ein Wille führt die Gleichgestimmten zu einander, erzeugt einen Verband mit Programm und Satzungen, führt im engeren Umkreis zu einer Bewegung. Ob der Verein der »Lauttreuen« heute noch wirbt und wirkt, ist mir nicht bekannt. Sollte er verstorben sein, so wird er zu gelegener Zeit wieder aufleben, denn jede Quacksalberei ist an den Segnungen der ewigen Wiederkunft beteiligt. Seine ersten für uns wahrnehmbaren Zeichen entfaltete er 1876, und durch ein Menschenalter konnte man seinen Spuren begegnen. Auf den Angriff einer Berliner Tageszeitung erfolgte im Jahre 1910 nachstehende Entgegnung eines Heilmeisters, der im Auftrag der »lauttroien« einer gesunden »fonetik und lautlere« das Wort redete:
... das es zehr vohl möhklic ist, di ausschpraxe gants genau vidertzugeben, bevaist das fohrhandenzain des internatsionalen lautschriftferains ... ven es dem hern ferfasser belihpt, zic über uns lustig tsu maxen, zo tseikt dihs eben nuhr fon Unkenntnis der zaxe. ven man aber etvas nixt kent, zol man eben hüpsch den munt halten. vihr erschtreben mit unzerer schraibug nuhr das beste. bedegen zi bitte, vifihl unnütse tsait mit dem erlernen der oft föllic züstehmlozen, schtellenvaise zogahr blöhtzinnigen zogenannten »rect«schraibug fergoidet virt! vi fihl besser könte zi führ andre, unendlic victigere lerfäxer fervendet vehrden!
Man kann es bedauern, daß die Lauttroien bisher im Geistesleben
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