Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
gedächtnisschwachen Schauspieler), »verschlimmbessern«, »Aufkläricht«, »Kraftstofflich«, »Schusterfleck« (in der Musik Spottname für gewisse Motiv-Wiederholungen), »Klavierwalküre«, »Krawattentenor«, »Zotologie«, »Parnassauer«, vermöchte er vielleicht zu entsiegeln; aber aus den verfilzten Begriffssynthesen, aus den undurchdringlichen -ismen, die ihn umwuchern, kann er sich mit aller Anstrengung nicht herauswickeln. Heute darf man schreiben: »Der Rhythmus, der dieses Portrait beherrscht«, »Der melodiöse Ernst dieser Malerei ...«, »in jenem Drama steckt Atmosphäre ...«, »Kommt man von Salome zu Pelleas, so ist einem zumute, als wendete man einem furiosen Goya, der im Blute schwimmt, den Rücken und träte vor einen verdämmernden Turner«, »... Eine Harmonik von zwingender immanenter Logik und in ihrer impressionistischen Gelöstheit kaum anders als im blinzelnden Ohre zu empfangen«, »Der Dichter dieses Schauspiels harft auf Charakteren, die sich in grünlichen Ellipsen bewegen ....«; man darf das schreiben und findet immer Leser, die es verständnisinnig aufnehmen. Zu diesen wird der Mann von 1800 nicht gehören. Eine Welt trennt ihn von den Ausdrucksformen dieser Sprache, die ihn mit Unbegreiflichkeiten überfällt.
Wiederholen wir das Gedankenexperiment an uns selbst, versetzen wir uns in die Lesung eines Blattes vom Jahre 2000. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß auch wir einer im Ausdruck fernen Sprache entgegentreten würden, zu deren Erfassung uns wichtige Vorbedingungen fehlen. Wir können sie ebensowenig voraussehen, wie ein Zeitgenosse des Mozart die Melodik des Parsifal oder des Rosenkavaliers hätte vorausahnen können. Rückwärts gemessen, bedeutet ein Jahrhundert im Leben einer Sprache sehr wenig, vorwärts gemessen, eine Ewigkeit. Ich zweifle nicht daran, daß diese Sprache von 2000 manche Bestandteile aufzeigen wird, die ihren Ursprung in der heutigen Sprachbewegung finden. Trotzdem ist mit aller Sicherheit vorauszusagen, daß diese Bestandteile nach Menge und Einfluß vollkommen verschwinden werden gegenüber anderen Wandlungen, die sich aller Vorausberechnung entziehen. Und die Ausdrucksvögte von heute würden gewaltig erstaunen, wenn sie wahrnehmen könnten, wie wenig dann von ihrem Werk übriggeblieben ist. Auch im folgenden Jahrhundert wird es an Sprachvögten nicht fehlen; aber die werden sich und ihrer Mitwelt in ganz anderer Weise das Dasein versauern.
*
Das Tor nach Halb- und Ganzasien ist aufgesprengt, und so steht zu erwarten, daß auch vom Osten her eine Reihe von Ausdrücken in unser Deutsch einziehen wird. Bisher hielt sich dieser Import in recht engen Maßen. Wir haben von früher den »Ukas«, den »Tschin«, den »Samowar«, die »Sakuska«, die »Potemkiniade«, neuerdings ergänzt durch die Duma, den Pristaw, den Pogrom, den Sowjet, den Bolschewismus, die in leisen Anspielungen herüberklingen. Noch sind sie kaum gebrauchsfertige Fremdwörter geworden. Sollte sich ihre Anzahl und ihr Einfluß vergrößern, dann wird die Verslawung der »Verwelschung« an die Seite treten, und das alte Schlagwort kann sich erneuern: Nur der Deutsche bringt das fertig! keinem Russen fällt es ein, mit deutschen Fremdbrocken seine Rede zu vermanschen! und das wird natürlich auch geglaubt werden, genau wie in dem Falle von Deutsch-Französisch, den wir an anderer Stelle dieses Buches mit dem ausführlichen Beweise des Gegenteils erörtern.
Mir selbst ist das Russische ganz fremd, und ich beabsichtige auch nicht es zu studieren. Aber für den vorliegenden Zweck genügt mir ein sicherer Gewährsmann. Ich entnehme die folgenden Angaben den Mitteilungen von R. Rotheit, der bei seinem Aufenthalt in Kiew manche Urwüchsigkeiten des Russischen festgestellt hat:
»Eine gewisse, zusammengesetzte Speise, die als Vorgericht genossen wird, ist bei den Russen als ›Vorschmack‹ bekannt, und belegte Brödchen, einerlei womit, nennt man ›Butterbrode‹, auch wenn keine Butter darauf ist. ... Ein Gemälde heißt ›Landschaft‹, Schmuckgegenstände heißen ›Kleinode‹, und wer sich setzen will, der setzt sich auf einen ›Stul‹. Die Hofdame ist ein ›Frejlen‹, Mehrzahl ›Frejlini‹, der Hofmeister wurde zum ›Gofmeyster‹, dann gibt es ›Stalmejster‹, ›Gefrejte‹, ›Wachtmejster‹, ›Rottmejster‹, einen ›Berajter‹, eine ›Patrontasch‹ ... Für den Mann, der einem den Bart rasiert und die Haare schneidet und für den im
Weitere Kostenlose Bücher