Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Sprachbeflissenen, eine politische und zwar eine ganz ausgesprochene antisemitische Färbung gewonnen.
Die Stellung für oder gegen ist hier ganz gleichgültig. Nur darf man dem Worte gegenüber keine Vogelstraußmethode betreiben. Man soll sich dessen bewußt sein, daß das Wort »völkisch«, auch im reinen Sprachkampf angewendet, antisemitisch gemeint ist und antisemitisch verstanden wird.
Er hat diese Meinung und Wirkung nicht aus dem Hauptwort entnommen, verhält sich also zu Volk durchaus nicht so wie national zu Nation; vielmehr bezog es seine Besonderheit aus der Feder und dem Munde derjenigen, die es erfanden und in Umlauf setzten. Und wenn diese dem Wort völkisch den Vorzug geben, so geschieht es nicht deshalb, weil national ein Fremdwort ist, sondern weil völkisch schon im Augenblick seiner Entstehung in jener besonderen Beleuchtung erschien. Völkisch umfaßt also nicht das ganze Volk; es schließt eine Minderheit aus und will in dieser Absicht nicht mißverstanden werden.
Es wird auch in der Regel nicht mißverstanden. In neun von zehn Fällen läßt schon der Zusammenhang in Rede und Aufsatz gar keine Nebenbedeutung zu, das Wort gibt sich treuherzig als das zu erkennen, was es nach dem Willen seiner Anhänger sein soll. Um so erstaunlicher berührt die Wahrnehmung, daß sich gerade unter den besten unserer neuesten Sprachreformer einige befinden, die es fleißig und nachdrücklich anwenden, obschon sie kein Wort so sorgsam zu vermeiden hätten als gerade dieses. Das Unbegreifliche, hier wird es Ereignis. Schriftsteller von Rang und Bedeutung, die etwas zu verteidigen haben, leihen sich die Jagdhörner der Gegner, um darauf zu blasen, malen ihre Fahnen mit den gegnerischen Farben und glauben ihrer Sache zu dienen, während sie mit dem Schlagwort völkisch im wesentlichen die Geschäfte der Widersacher vertreten.
So lange in der Welt Symbole und Programmworte gelten, muß man seine eigenen haben und sich nicht so stellen, als könne man auch mit den gegenteiligen etwas ersprießliches ausrichten. Wer Welf ist, soll nicht Hie Waiblingen rufen, und ein Freigeist soll seine Freigeisterei nicht bei allen Heiligen beschwören. Wer im Widerspruch zu seiner Wesensart sich das Wort völkisch geläufig macht, bloß weil ein Kampfruf darin steckt, der gleicht einem Manne, der auszieht, um den Aberglauben zu bekämpfen und bei jeder Gelegenheit »unberufen« sagt. –
Ich hege den Verdacht, daß diejenigen, die es angeht, sich des Widerspruchs gar nicht recht bewußt sind, der contradictio in adjecto, die hier wörtlich zu einer contradictio in adjectivo wird. Sie glauben, wenn sie mit völkisch hantieren, wie es ihnen gerade paßt, so werden die andern es genau so verstehen, und beileibe nicht so, wie der völkische Leitartikler und Abgeordnete es auffaßt. In meinem Verdacht steckt zugleich die Annahme, daß die sprachliche Feinfühligkeit jener Herren nur innerhalb enggezogener Grenzen rege wird. Denn wenn sie sprachlich nicht einmal abzutasten vermögen, was in ihren eigensten Interessenkreis fällt, wie sollen sie es dann können in Bereichen, wo sich das Persönliche ganz verflüchtigt? Und meine Annahme wird mir zur Gewißheit, wenn ich beobachte, wie sie es anstellen, um sich in den entlegenen Bereichen zurechtzufinden; nämlich immer mit demselben Werkzeug für Weg und Richtung; wie der Wanderer, der in den Gebirgstälern des Helikon umherstreift und sich zur Orientirung eine Wegkarte vom Teutoburger Wald mitgenommen hat.
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Neue Gestaltungen . Wenn ein Deutscher wie der Held in Bellamys Rückblick vor Jahrzehnten in Starrschlaf verfallen wäre und heute plötzlich erwachte, so würde er sich in unserer Sprachwelt nicht ohne weiteres zurechtfinden. Rede und Buch würden ihm noch zur Not verständlich erscheinen, wiewohl er auch in ihnen recht viel zu erraten, zu ergänzen hätte. Ob er aber die Schwierigkeit in den Zeitungen über und namentlich unter dem Strich mit Verständnis überwinden könnte?
Wir sind da, wie ich glaube, auf eine einseitige Perspektive eingestellt. Weil uns die Sprache vom Jahre 1800 der heutigen so ähnlich vorkommt, daß wir sie lesen wie die unsrige, machen wir leicht den Schluß, das müßte sich wohl bei angenommener Umkehrung ebenso verhalten. Der Schluß wäre aber sehr gewagt, vielleicht ganz verfehlt. Denn die Technik der Sprache hat sich verändert, wie die Technik überhaupt. In uns allen lebt noch die Technik von ehedem, die der Spinnstube, der Postkutsche,
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