Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
ob man es hier mit einem Satz zu tun hat oder mit einem Attentat. Man darf aber nicht daran zweifeln, daß dieses Gebilde tausend gleichwertige Gegenstücke in der Literatur findet, bei Hebbel und anderen Großmeistern. Besäße das Ohr Schutzvorrichtungen, wie das Auge im Lid, so müßte es beim Anschlagen derartiger Klänge dicke Rollvorhänge herunterlassen. Sind solche langgezerrte Mißgeräusche Ausnahmen von den Regeln des Klanges und des Rhythmus? Zeugen sie wohl gar gegen meine Grundbehauptung, daß der eigene Sinn sich den eigenen Stil schafft?
Der Fall liegt schwierig, und um ihn zu klären, wäre ein Lesebuch aus klangwidrigen Stellen hervorragender Könner erforderlich. Keine üble Aufgabe für einen Sammler, dem man zur Ermutigung obendrein einen ansehnlichen Bucherfolg voraussagen könnte. Hauptstücke für diese literarische Schreckenskammer würde Hegel liefern, um einen unter vielen herauszugreifen; Hegel, der in seiner Philosophie der Geschichte Sprachmeisterliches, sogar Klangmeisterliches geliefert hat; der aber trotzdem als abschreckendes Beispiel der Ohrenlosigkeit, ja der vollendeten Sprachtaubheit aufgestellt zu werden verdient; in Proben nämlich, von denen seine Phänomenologie etc. wimmelt:
»Die gereinigte Sichselbstgleichheit«; – »Die Form des einfachen Insichzurückgegangenseins«; – »das Dieses ist also gesetzt als nicht dieses oder als aufgehoben, und damit nicht Nichts, sondern ein bestimmtes Nichts, oder als ein Nichts von einem bestimmten Inhalte, nämlich dem Diesen«; – »Die Individualität, welche sich an und für sich selbst reell ist«; – »Dies bietet sich hier so dar, daß, indem das, was zuerst als der Gegenstand erschien, dem Bewußtsein zu einem Wissen von ihm herabsinkt und das Ansich zu einem Für-das-Bewußtsein-Sein des Ansich wird«; – »ein Moment des Ansich- oder Fürunsseins«; – »Die Elektrizität ist der Zweck der Gestalt, der sich ihr von ihr befreit, die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzugeben anfängt, denn die Elektrizität ist das unmittelbare Hervortreten, oder das nah von der Gestalt hervorkommende noch durch sie bedingte Dasein, oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Prozeß, worin die Differenzen die Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbständig geworden sind«; –
und merkwürdig genug: Hegel selbst spricht an anderer Stelle vom Rhythmus und von der Harmonie philosophischer Sätze, er spricht davon in einem schaurigen Holpersatze. Aber wie sich bei ihm Alles und Jedes verwirrt, so fand sein Sinn auch seinen Stil und seinen Klang, den durch keine konstruierte Disharmonie zu überbietenden Mißklang. Wo das Delirium herrscht, ist die Klangvernichtung das Selbstverständliche. Und keinen schärferen Beweis wüßte ich für das Vorhandensein dieses Deliriums als die Art, in der Hegel mit fremden Klängen umgeht, als die völlige Resonanzlosigkeit, mit der er wahres Klanggut wiedergibt und verunstaltet. Er will Töne Goethes beschwören und sagt in der Absicht, getreu zu zitieren:
»Es verachtet Verstand und Wissenschaft
des Menschen allerhöchste Gaben –
es hat dem Teufel sich ergeben
und muß zugrunde geh'n«.
Also wörtlich und buchstäblich in Hegels Kapitel »Die Lust und die Notwendigkeit«. Das Ungeheuerliche, hier wird es Ereignis. Und dieses Ungeheuerliche erhellt uns den ganzen Zusammenhang der Dinge: Sinn, Stil und Klang gehen wirklich auf dieselbe Wurzel zurück, eines prüft sich am anderen. Wo der Sinn vom Unsinn überflutet wird, da geht der Klang zum Teufel, mit ihm die Möglichkeit, fremde Wohlklänge zu erfassen. Der ungeheuerliche, gänzlich formlose, verunstaltete Satz, das stammelnde Wortgebilde, das zermetzelte Zitat zeigen allemal die Geistesverfassung des Schreibers zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das Ohr ist und bleibt das ausschlaggebende Organ für die Wertmessung: Sinntaubheit und Klangtaubheit gehören zueinander.
Ich sage ausdrücklich: zu einem bestimmten Zeitpunkt; denn der nämliche Autor befindet sich zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Verfassungen. Das Prinzip der natürlichen Stetigkeit findet bei ihm keine Anwendung. Als Hebbel den zuvor genannten Greuelsatz schrieb, unterlag er einem besonderen Schicksal: nicht zuwenig hatte er zu sagen, sondern zuviel, die ungebändigte Fülle der Gedanken wurde zum Chaos und entlud sich in chaotischem Wirrwarr. Das dritte Ohr, das schon den Sinnklang erlauschen
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