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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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Erscheinungen von Plato bis über Schopenhauer hinaus ist er es auch wirklich gewesen. Der strenge Naturforscher wird von dieser Verpflichtung freigestellt. Ein Chemiker mag sprechen und schreiben: Dichlorhydratdioxydiamidoarsenobenzol; er hat Chemie zu treiben und nicht Phonetik. Wir andern aber haben dafür zu sorgen, daß die Wortungeheuer nicht Gewalt gewinnen in der Sprache, und daß deren Klang nicht von den Massenleibern der Ungetüme erstickt werde.
    Um es offen zu bekennen: wir alle stehen in dieser Gefahr. Jeder Tag schafft uns in Zeitung und Buch, in Rede und Dichtung neue Überworte, neue mißtönende Streckungen, und es ist nicht abzusehen, wo dereinst der Klang ein Asyl finden kann.
    Und wiederum sehe ich die einzige Hilfe, – sofern solche noch möglich, – im Weltwort, obschon auch dieses bis zu gewissem Grade der Gefahr unterliegt, durch Packung und Versippung seine Form und Klangfigur zu verlieren. Die Hilfe liegt hier in der Fähigkeit des Weltwortes, weitausgesponnene Begriffe kurz zu ergreifen, und langes Gerassel in ein faßliches Tonbild zu verwandeln; was ja wohl einer Forderung des inneren Ohres entsprechen würde.
    Wenn ich dies an einigen Beispielen erläutere, so darf ich mir nicht verhehlen, daß ich damit durchaus keinen Beweis, höchstens einen Hinweis zu liefern vermag; aber in der anzugebenden Richtung mag vielleicht von denkenden Lesern der Beweis gefunden werden.
    Wir sprechen von »Gedankenübertragung«; das ist als Worteinheit gefaßt, ein siebensilbiges Wesen von erträglichem Rhythmus. Wir spezialisieren den Begriff, indem wir dem Gedanken einen Willen beigesellen, und dabei verlangen, daß dieser übertragene Wille eine Tat auslöse, damit noch nicht genug: wir wollen ein Mittel bezeichnen, das von einer Ursprungsperson ausgehend auf dem Wege der Gedanken- und Willensübertragung eine Zielperson veranlaßt, im Zustande der Unbewußtheit bestimmte Vorstellungen und Gefühle aufzunehmen und in scheinbar freiwillige, tatsächlich aber erzwungene Handlungen umzusetzen. Der also dargestellte Begriff ist sehr verwickelt, und wenn wir dafür einen einheitlich-substantivischen Ausdruck verlangen, so müßte ein Wort von unübersehbaren Abmessungen erscheinen. Noch existiert es nicht, aber irgend ein Gewaltformer wird es einmal in die Welt setzen als ein Neugebilde, das vom Bandwurm die Figur und vom Kettengerassel den Rhythmus haben wird. Da meldet sich das Weltwort und erklärt: ich mache dasselbe einfach, klingend, eindeutig und unverschachtelt; ich umspanne den Begriff vollständig und brauche dazu weder Abhängigkeitssätze noch im Notbehelf aneinander gekleisterte Einzelworte; und kurz gesagt, ich heiße: » Suggestion «.
    Wir begeben uns in einen Garten und gewahren dort eine Bewegungserscheinung; das Wort reicht nicht, wir müssen sagen: »Pflanzenbewegungserscheinung«; damit sind wir bei acht Silben, die wir noch gern in den Kauf nehmen. Jetzt drängt uns aber der Begriff, noch irgendwo die Silbe »Licht« hineinzukeilen und weiterhin den durch das Licht bedingten Wachstumsprozeß, und dazu die Richtung der einfallenden Sonnenstrahlen, und obendrein die Längsachsen der Pflanzenteile. Das alles soll ein Wort leisten, damit es dem einen geschlossenen, aber sehr komplizierten Begriff gerecht werde. Die Zunge macht Schwierigkeiten, aber sie wird auch dieses neuzuschaffende und bestimmt zu erwartende Goliathwort aussprechen lernen. Würde das innere Ohr befragt, so käme die Antwort: Strengt euch nicht an, denn was ihr da sucht und knetet und leimt, ist längst vorhanden; in einem wohlrhythmisierten Klangwort von starkem und erschöpfendem Ausdruck; sprecht, bitte: Heliotropismus !
    In demselben Garten finden wir ein eigentümliches Kriechtierchen, das von der Natur mit einer besonderen Anpassungswaffe ausgerüstet ist. Wenn wir sagen: »Verähnlichungsanpassungsschutzwaffe«, so ist das Wort zwar schon sehr unbeholfen und mißklingend geworden, aber dem Begriff sind wir schon nähergerückt. Was noch fehlt, ist der Hinweis darauf, das die Natur dem Tierchen jene Schutzwaffe der Verkleidung zum Zweck der Feindestäuschung verliehen hat. Noch zehn Silben hinein, – man erlasse mir die Ausführung, der ich nicht gewachsen wäre, – und das Problem könnte als gelöst gelten; begrifflich-sprachlich gelöst, wenn man eben solche Wimmelworte als zur Sprache gehörig betrachten will. Das innere Ohr will das Problem anders gelöst wissen, mit dem hellklingenden Daktylus: Mimicry

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