Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
umschreiben, sondern durch ein einziges Wort sinngetreu übersetzen wollen: »Selbstlautergesangsaussprache.« Die zur Statistik aufgelegte Seele zählt wiederum, verzichtet auf den sprachreinen Ersatz und bleibt beim klangreinen Weltwort.
Sie horcht auf das Ausmaß und den melodiösen Gehalt der Vokale im Rahmen ihrer Gerüste, zählt und wertet sie unbewußt oder bewußt in: Idee, Ideal, Genie, Polar, Natur, Religion, Planet, Organ, Pathos, Funktion, Poesie, Prosa, Graziös, Eleganz, Routine, Reform, Zone, Militär, Division, Physik, Fauna, Flora, Phase, und so hundertfach, tausendfach. Nicht um alsdann zu bekennen: So ausschließlich sei unsere Rede, denn in der großen Hauptsache entscheidet Logos und nicht Melos; aber um festzustellen, daß in den Weltworten phonetische Werte stecken, die zu verschleudern kein Anlaß vorliegt. Und wenn das Ohr den Ausdruck »Wert« im Laufe einer Auseinandersetzung zwanzigmal vernommen hat, so wird ihm sogar der Ausdruck »Valeur« willkommen sein, weil es bei gleicher Bedeutung endlich doch anders klingt und gewiß nicht schlechter. Wer den Wert der Weltworte für die klangliche Abwechslung verkennt, der besitzt kein Ohr für phonetische Notwendigkeiten.
Um ein ganz banales Beispiel zu nehmen: glauben unsere Vögte denn wirklich, daß nur ein blöder Welschtrieb die deutsche Menschheit gezwungen hat, das Wort »Telephon« bis zur Ausschließlichkeit zu bevorzugen und den »Fernsprecher« abzulehnen? Nein, der Klangtrieb hat das gemacht; freilich unterstützt von sachlichen Erwägungen, die wir an anderer Stelle dieses Buches behandeln. Aber zu fünf Sechsteln hat in dem Streit Telephon gegen Fernsprecher der freie Vokal o gesiegt, gegen die unfreien e in ihrem Pferch von Konsonanten; es war ein musikalischer Prozeß der schwingenden Vox gegen den Wulst – rnspr –, zu dem sich die nichtschwingenden Buchstaben im Fernsprecher verknoten. Das Volk hat das dritte Ohr.
Verfolgt nach dieser Richtung die Willigkeit und Sprödigkeit des Gehörs, und ihr werdet an zahllosen weiteren Beispielen des täglichen Lebens wie des höheren Schrifttums erkennen, warum sich das Volk wehrt, wenn der Besen gar zu wütig in seinem Sprachinstrument herumfegt. Es spürt, daß ihm damit nicht nur Unreinheiten herausgewischt, sondern auch tönende Saiten entzweigerissen werden.
Und es wird dies in Jahren und Jahrzehnten noch weit deutlicher zu spüren bekommen; wenn erst die Neubildungen in Massigkeit nach Breite und Dicke jenen Umfang erreicht haben werden, den die heut vorliegenden Muster bereits ahnen lassen.
Eine hohe Tugend unserer Sprache steht in Gefahr, durch Mißbrauch in ihr Gegenteil umzuschlagen. Wir meinen ihre unvergleichliche Fähigkeit, jeder Begriffsauslese durch Erweiterungen der Worte beizukommen. Da gab es kein Halt und keine Grenze, weder für das Vermehren der Silben, noch für das Aufhäufen der Konsonanten. Die Verführung, Begriffe durch Worte einzuholen, erwies sich als stärker denn die Warnung der Signale, mit denen das innere Ohr Protest einlegen mochte. Im Hinblick auf Lautschwierigkeit und phonetische Greuel prüfe man etwa folgende Worte:
Zwangssprachverordnung – Sumpfpflanze – Triumphpforte – Großkampfschiffsrumpf – Starkstromkurzschluß – Postprotestfrist – Marschtaktschlag – Hauptmeisterschaftstrophäe – Geschwulstschwund – Holzklotzpflock – Karstschroffe –Wirkstrumpfsknüpfung – Versskandierung – Jauchzzwischenruf – Starrkrampfspezialist – Zwitscherschwingung – Provinzschauspielerproletariat – Nernststromschlußplättchen – Hackfruchtstrunk – Einbruchsdiebstahlversicherungsgesellschaft – bis zu den abenteuerlichen Mammut-Gebilden neuester Prägung: Allerweltsbierbankstrategenkopf – und Kriegsverpflegungsfeldproviantamtinspektorstellvertreter;
und das sind doch nur dürftige Einzelproben aus einem ungeheuren Musterlager, das von jüngstdeutschen Dichtern durch Weitläufigkeiten wie »Schlummerebbungsschleime« bereichert wird. Zur Nachtzeit spukt in diesen Lagerräumen der Geist der seligen Hegelei mit seinen insichzurückgegangenseienden Anundfürsichigkeiten.
Die Berufung auf die exakte Wissenschaft hält nicht Stand. Denn diese gehorcht ausschließlich ökonomischen Gesetzen, in deren Umkreis das Wort nicht mehr tönende Verkündung ist, sondern Zeichen, Symbol, Formel wie der Buchstabe und die Zahlen in der Arithmetik. Der Philosoph soll noch Sprachverkünder sein wie der Dichter, und in seinen besten
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