Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Autoritäten kommen! Selbst gegen den Puristenverflucher Goethe ließe sich Beethoven noch als kaum zu überstechender Trumpf ausspielen, – wenn nicht der nämliche zuverlässige Gewährsmann, dem wir die Liste verdanken, eine dämpfende Erklärung beigefügt hätte. Nämlich Beethoven hat die große Mehrzahl seiner Verdeutschungen nur lachend gewürdigt, also wienerisch ausgedrückt: einen Jux wollt er sich machen. Und das ist der Humor davon: Beethovens Liste ist nichts anderes als ein Scherzo im lustigsten Sinne über das Thema: Verdeutschung um jeden Preis!
Das dritte Ohr
Diese Betrachtung steht außerhalb der physiologischen Möglichkeit. Und wörtlich ist es auch nicht gemeint, wenn von einem Organ gesprochen wird, das keiner am Kopfe zu haben wünscht, das aber jeder besitzen sollte. Ein Todfeind der wörtlichen Richtigkeit nahm es für sich in Anspruch, und wohl für sich allein; mit dem Unrecht, das der Einseitigkeit anhaftet, mit dem Recht der Begriffsentdeckung und der Wortprägung für den neuen Begriff:
»Welche Marter sind deutsch geschriebene Bücher für den, der das › dritte Ohr ‹ hat! Wie unwillig steht es neben dem langsam sich drehenden Sumpfe von Klängen ohne Klang, von Rhythmen ohne Tanz, welcher bei Deutschen ein ›Buch‹ genannt wird.«
Also sprach Nietzsche, da er das Organ für Sprachmusik bezeichnen wollte. Hatte man nie zuvor davon geredet? Doch wohl, und gar nicht zu selten. Aber man verstand etwas anderes darunter; etwa die Fähigkeit, das Rauschen der Sprache in gebundener und getragener Rede als einen Rausch aufzunehmen. Doch dazu genügt schon das leidlich gebildete Ohr an sich, genügt schon die empfängliche Seele ohne Ohr. Das dritte Ohr verlangt mehr und leistet mehr. Es sitzt innen und ist mit ganz besondern Resonanzfäden bespannt. Es fehlt manchem Dichter, der hochtönende Verse hervorbringt, aber das Volk besitzt es.
Die Bewußtseins-Schwelle des dritten Ohres ist anders gelagert. Es hört das zwischen den Worten Klingende, den Klang, der aus dem Sinn aufsteigt, es nimmt die Rhythmen der Gedanken wahr, nicht nur den Rhythmus des Satzes, der ihm den Gedanken mitteilt; dazu Gefühlsbetonungen, die den anderen Ohren entgehen, weil sie keine Resonanzfäden dafür besitzen. Denn die Allerweltsohren behelfen sich mit den bekannten, von Helmholtz nachgewiesenen Fasern, die sich zu denen des dritten Ohres verhalten, wie ein Tauwerk zu dem pythagoreischen Gespinst, das die Musik der Sphären erlauscht.
Kann man sich das dritte Ohr anschaffen? Schwerlich. Aber man kann vielleicht das erste und zweite schärfen, verfeinern, und sich dadurch die Gnade der Natur verdienen, die in seltenen Fällen ein vortreffliches Duett zu einem Trio weiterbildet.
Auf Schritt und Tritt wird das Ohr von der Natur geprüft. Jede Silbe, die ans Ohr schlägt, birgt einen Vokal, und das Ohr soll entscheiden, ob diese Vokale symphonisch zueinander stimmen. In den allermeisten Fällen merkt das Ohr nicht einmal, daß es gefragt wird, es merkt nichts von den Tücken des Objektes, die in den Vokalfolgen umherspuken.
Nehmen wir zuerst einmal grobe Beispiele von unfreiwilligen Reimansätzen und Assonanzen. Wenn einer schriebe: »das ist eine Mahnung, welche die Kollegen erwägen mögen «, – oder »ob diese prophetische Botschaft wahr war, war nicht festzustellen«, oder »die Ausbeute, die er in jenem Land fand, stand in keinem Verhältnis zu den Anstrengungen«, so würde auch ein ungeübtes Ohr Einspruch erheben. Denn der Reimklang, der dem Vers zur Zierde gereicht, wird in fortlaufender Prosa als störend und musikwidrig empfunden. Aber von solchen Falschklängen wimmelt die Rede und das Schrifttum, und sie auch dort zu erkennen, wo sie nicht volle Register ziehen, ist die erste Probe, der sich das Ohr zu unterziehen hat. Es muß den Klangwert der Vokale, ihr Gleichgewicht, ihre Melodie und den motivischen Gehalt dieser Melodie abschätzen lernen. Klingen muß es ihm, nicht klingeln.
Manchmal bekommt man es mit Beklemmung zu tun, selbst dort, wo ein Bedeutender über Sprachklang redet und mit Sprachklang zu wirken beabsichtigt. Einsicht und Pathos treten auf, es schwingt zwischen den Vokalen, aber der Rhythmus versagt. Die von Nietzsche geforderten Klänge mit Klang sind vorhanden, aber der Rhythmus fehlt, die freie Beweglichkeit des Tanzes. Hatte Hebbel das dritte Ohr? gar nicht daran zu zweifeln, wenn man an seine Dichtungen denkt. Aber er schrieb auch Lehrhaftes, streifte darin das Thema
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