Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
soll, war ausgeschaltet, gab kein Signal, und so rasselten die Gedanken ineinander wie Züge bei falscher Weichenstellung.
Die Wissenschaft hat auf experimentellen Wegen von Ernst Mach und Cyon ermittelt, daß wir im Ohr das einzige Organ für unmittelbare Raumempfindung besitzen. Ich glaube, daß diese Forschung damit noch nicht zu Ende ist. Denn auch bei Gedanken kann man sich eine räumliche Anordnung vorstellen. Sie wohnen nicht so leicht beieinander, wie Wallenstein meint, sondern sie stoßen sich hart im Raume der Schädelhöhle. Und nur einer vollendeten Signalgebung kann es gelingen, die Stoßkatastrophen zu verhindern. Der Signalwächter ist das Ohr.
Die Hellhörigkeit, Feinhörigkeit ist durchaus eine innere Eigenschaft, unabhängig von der anatomischen, grobsinnlich wahrzunehmenden Struktur des Ohres. Sie verhält sich zum äußeren Hören, wie das Einsehen, also das Begreifen, zum Sehen. Ist doch das Wort »Idee«, Idea, nach seiner Herleitung gar nichts anderes als das Gesehene, entsprechend der Sprachwurzel eidõ, die das Sehen bedeutet und ebenso das Wissen. Der blinde Seher sieht mehr als der sehende Guckindiewelt; und so braucht auch der innerlich Feinhörige gar nicht von wirklichen Schallschwingungen erreicht zu werden. Er erfaßt den Sinnklang und Wortklang aus der Schrift, symphonisch oder kakophonisch, so wie den Musiker eine Partitur ohne instrumentale Hilfe anspricht. Beethoven war mit taubem Ohr hellhörig, viele Neutöner sind im Besitz durchaus gesunder Ohren klangtaub.
Das innere Ohr ist von akustischen Regeln weit unabhängiger als das äußere, es kritisiert und entscheidet von Fall zu Fall intuitiv. Stellt es sich auf einen Wohlklang ein, auf den bel canto, dann erscheinen ihm romanische Sprachen schöner als die deutsche. Es befindet sich dann sozusagen in einer Pergolese-Stimmung oder Rossini-Stimmung, es sättigt sich dann an Vokalfiguren, die mit dem Reiz einer natürlichen Singstimme auftreten. Stellt es sich auf eine Bach- oder Brahms-Stimmung ein, so erhöhen sich ihm die Klangwirkungen des Deutschen, und der absolute Wohlklang wird ihm gleichgültiger. Es gewahrt über alle Rauheiten und Reibungen, über Dissonanzen und Querstände hinweg im Deutschen eine übergeordnete melodische Fülle.
Bisweilen aber gerät es an Mittellagen der Stimmung, die sich nicht so einfach beschreiben lassen. Es erfreut sich dann an gewissen Klängen, nimmt Anstoß an anderen, ohne sich gerade am Für und Wider leidenschaftlich aufzuregen. Immerhin kommen diese Mittellagen für uns in Betracht und sollen nicht übergangen werden. Das Ohr findet also, daß unser gutes Deutsch und besonders die deutsche Prosa gewisse phonetische Verbesserungen zuläßt und daß sich diese sehr gut aus einer bestimmten Quelle beziehen lassen.
Wir sind da wieder einmal bei den Weltworten angelangt, deren Bedeutung und Notwendigkeit im Haushalt der Sprache schon genügend erörtert wurden. Nur auf den Klang soll es in diesem Zusammenhange ankommen, und als tugendhafte Klanggebilde erscheinen sie allerdings dem Ohr so unentbehrlich, daß sie erfunden werden müßten, wenn sie nicht schon vorhanden wären.
In pythagoreischem Geist ist verkündet worden, die Musik sei das Vergnügen einer Seele, welche zählt, ohne zu wissen, daß sie zähle. Für die konzertante Musik ist dieser schöne Ausspruch ohne weiteres gültig und richtig. Wo es sich indes um die Musik des Wortklanges handelt, da weiß die Seele in der Regel, daß sie zählt. Sie treibt Statistik mit Vokalen und Konsonanten, sie spürt ihr Vergnügen in offenkundiger Abhängigkeit von der Vokalmenge und wertet sonach das Weltwort als einen sehr erheblichen Klangverbesserer.
Schon das Wort »Vokal« zeigt seine musikalische Überlegenheit. Es enthält selbst zwei Vokale o–a, die wie der Auftakt einer Arie hallen, am schlanken Gerüst von nur drei Konsonanten. Von Vox, die Stimme, leitet es sich her, und Stimme ist es geblieben. Man kann dafür »Selbstlaut«, »Selbstlauter« sagen und drückt sich dann reiner deutsch aus. Aber nicht reiner musikalisch; erstlich weil die Folge e–au keinen Bewerb mit o–a aufnehmen kann, und vor allem wegen des Gerüstes an Konsonanten, das sich um mehr als das doppelte verdickt. Dadurch entsteht eine so starke Dämpfung, daß ein großer Teil der Resonanz verloren geht und von der ursprünglichen Vox nicht mehr sonderlich viel übrigbleibt.
Für das klangreiche »Vokalisation« müßten wir sagen, wenn wir nicht bloß
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