Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
gesagt:
»Ich verfluche allen negativen Purismus, daß man ein Wort nicht brauchen soll, in welchem eine andere Sprache vielmehr oder Zarteres gefaßt hat.«
Mit Goethes Fluch ist wohl nicht zu spaßen. Sein Ingrimm gegen die puristische Vergewaltigung, – die sich zu der von heute verhielt, wie ein Gesellschaftsspiel zu einem Schlachtgemetzel, – muß wohl ein ungeheurer gewesen sein, wenn sie ihm den schärfsten aller möglichen Proteste erpreßte. Und man weiß ja auch, welche Folgen sich an eines Sängers Fluch knüpfen können: »Versunken und vergessen!« Kein Wunder auch, daß den Vertretern der anderen Meinung jener Ruf gewaltig in die Zähne gefahren ist und daß sie noch heute daran herumwürgen.
Es wird selbst dem denkschärfsten und redetüchtigsten dieser Vertreter, also unserem Engel, nicht leicht geworden sein, die Gegenoffensive aufzunehmen. Aber er wagt es, muß es wagen, denn es geht ums Ganze. Also sagt er: »Träfe Goethes spielend hingeworfenes, folgenloses Gesprächswort so allgemein zu, daß man jedes Wort gebrauchen dürfe, in dem »eine andere Sprache vielmehr oder Zarteres gefaßt hat«, so reichten nicht zehn-, nicht hunderttausend Fremdwörter aus, sondern wir müßten uns folgerecht jedes Fremdwort zu eigen machen.« Halb richtig und halb falsch. Zehn- oder hunderttausend reichen tatsächlich nicht aus, um unserer Sprache alle Färbungen zu gewähren, nach denen der an keine Grenzen gebundene Gedanke verlangt, – dagegen ist die Folgerung » jedes Fremdwort« durchaus nicht folgerecht, sondern gradezu folgewidrig und verkehrt. Denn es handelt sich in Goethes Fluch, wie ganz selbstverständlich und klar bezeichnet, nicht um die gleichgültigen Tautologien, die im Umkreise aller Sprachen in die Millionen gehen, sondern um die Worte erheblich größeren Wertes. Das erscheint doch gut unterscheidbar, und auf Grund dieser Unterscheidbarkeit wird wohl auch Goethes Zornwort nicht als »folgenlos« beiseite geschoben werden dürfen. Richtiger wäre es, von heute noch ganz unübersehbaren Folgen zu sprechen. Und nun gar: »spielend hingeworfen«? Ei warum nicht gar! wenn der Olympier wettert, so dröhnt der Donner, der uns nicht nachträglich in einen Scherzfluch oder säuselndes Zorngetändel umgedeutet werden soll.
*
Man spricht vom zweiten Satze der letzten Symphonie Beethovens. Eine Offenbarung. Wir hören in der Erinnerung urweltliches Gedröhn mit Wiederhall von Cyklopenmauern und fühlen uns gleichzeitig von seraphischen Fittichen angeweht. Beethoven hat über den Satz Molto vivace geschrieben, wir sprechen, wie wohl allgemein üblich, vom »Scherzo« der Neunten Symphonie. Da kommt jemand auf den Einfall, »Scherzstück« zu sagen, also ein seiner Meinung nach völlig gleichbedeutendes, herkunftlich sogar bis auf die Buchstaben übereinstimmendes Wort. Wir wehren uns dagegen und wollen davon nichts wissen. Ein Scherzo kann wohl ein Scherzstück sein, allein das Scherzo der Neunten scherzt nicht, und wenn uns einer die Übersetzung aufhalsen möchte, so geht uns das über den Spaß; uns wird dabei zu Mute, wie bei dem Versuche, uns Dantes »Divina Commedia« in ein Lustspiel oder einen Schwank umzudeutschen.
Aber im Fall der Neunten könnte sich jener vielleicht auf Beethoven selbst berufen. Und wenn er die Spur nicht findet, so will ich sie ihm verraten. Nämlich ganz ohne Scherz: Beethoven selbst hat gelegentlich den Puristenweg beschritten und sich hierzu mit seinem Neffen Karl und seinem Freunde Karl Holz angeseilt. Nach einer Mitteilung von Paul Tausig enthielt Beethovens Liste folgende Ausdrücke:
Arie = Lustgesang, Einsang;
Baß = Grundsang;
Kanon = Kreisfluchtstück;
Chor = Vollsang;
Klavier = Tastenspiel,
Hammerklangwerk;
Komponist = Tonsatzwerker;
Konzert = Tonstreitwerkunternehmen;
Konzertmeister = Tonstreitwerkmeister, Tonkampfmeister;
Dilettant = Kunstzeitvertreibliebender;
Fantasie = Launenspiel;
Fuge = Tonfluchtwerk, Fluchtstück;
Instrument = Klangmacherwerkzeug, Klangwerkzeug;
Kapellmeister = Tonkünstlermeister, Tonmeister, Obertonmeister;
Musik = Tonwerkerei;
musikalisch = tonkünstig;
Musikdirektor = Tonwerkordner, Tonvorsteher;
Oper = Singwerk;
Orchester = Tongerüst, Tonkünstlerbühne;
Symphonie = Zusammenklangwerk;
Sonate = Klangstück ;
Trompete = Schmettermessing, Schmetterrohr;
Trompeter = Schmettermessingwerker.
Da hätten wir ja einen recht ansehnlichen Kronzeugen im Prozeß Deutsch gegen Fremd, und nun soll uns einer noch einmal mit anderen
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