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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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sich ein weites Feld für die Betätigung des Sprachgefühls, und es wäre vielleicht lohnender, in diesem Feld die Spuren abzusuchen, als für allerhand sprachlichen Kleinkram schulmeisterliche Verordnungen zu drechseln. –
    Drei übelbeleumundete und vielfach vorbestrafte Subjekte werden an die Schranken gerufen: »Derselbe«, »Welcher« und die »Inversion nach Und«. Es kann aber zweifelhaft erscheinen, ob sie überhaupt vor ein Forum der höheren Stilkunst zu laden sind und nicht vielmehr zum kriminellen Kleinkram der Sprache gehören. Mit der Inversion wäre ja nicht viel Federlesen zu machen, sie klingt uns unschön, fehlerhaft und wird allgemein als eine Schwerverbrecherin angesehen. Sie frönt zudem der Gier, sich mit »Derselbe« zu gemeinsamen Straftaten zu verbinden, deren Art am besten in der scherzhaften Parodie erkannt wird, mit der sie ein witziger Zeitgenosse, Gustav Hochstetter, wie in einer Schlinge gefangen hat: »Auf dem Fels saß Lorelei mit ihrem goldenen Haar und goldenen Kamme, – und kämmte dieselbe dasselbe mit demselben.«
    Und trotzdem bin ich der Ansicht, daß in den Akten »derselbe, dieselbe, dasselbe« das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Vordem spazierten sie mit recht gutem Leumundszeugnis durch die Welt, und man braucht nur Schillers Briefe, Fichtes Reden, Schopenhauers Schriften zu lesen, um in eine Sprachstimmung zu geraten, die sich mit »demselben« ohne Schwierigkeit abfindet. Es erscheint sonach nicht ausgeschlossen, daß sich das Sprachgefühl der Zukunft auf das der Vergangenheit zurückbesinnen und die ängstliche Unterscheidung zwischen is und iste nicht aufrechterhalten wird. Heute freilich sitzt uns diese Unterscheidung im Blute, und kein wirklicher Schriftsteller könnte sie verleugnen. Aber ein innerer, durchgreifender Stilgrund ist nicht zu entdecken. Wäre er vorhanden, so hätte er doch schon vordem wirken müssen, vor allem in den Reden und Schriften unserer Großmeister, die doch nicht auf dem Aktenschimmel den Parnaß hinaufgeritten sind.
    Daß es sich hier um ein Zeitgesetz handelt, läßt sich beweisen. Jenes Fürwort gilt seit Jahrzehnten als Hauptkennzeichen des »papierenen Stils«. An der Unnatur und Steifbeinigkeit unseres ganzen schriftlichen Ausdrucks, – so heißt es z. B. bei Wustmann, trägt dieses Wort die Hälfte aller Schuld. Könnte man unserer Schriftsprache diesen Bleiklumpen abnehmen, schon dadurch allein würde sie Flügel zu bekommen scheinen. – Sehr schön. Der Kampf gegen das steifbeinige Fürwort ist längst mit allem Erfolg durchgeführt, der Bleiklumpen ist verschwunden, und der andere Bleiklotz, die fehlerhafte Inversion, beschwert die Schreiber von heute ebensowenig. Sonach müßte der ersehnte Zustand der beflügelten Sprache tatsächlich eingetreten sein. Das aber gerade wird von den nämlichen Kämpfern geleugnet, die so scharf zwischen Papier-Stil und Flug-Stil zu unterscheiden wissen. Und wenn ich mir ihre eigenen Sprach-Erzeugnisse neben ältere lege, die sich mit dem Bleiklumpen »derselbe« schleppten, so finde ich die älteren beflügelt, die neueren lahm. Ich nannte eben Fichte; hören wir:
Auf das zuerst zum Bewußtsein erwachende Kind dringen alle Eindrücke der dasselbe umgebenden Natur zugleich ein ...
(Leben der Menschheit): ... soll eine gänzliche Umbildung mit derselben vorgenommen werden, so muß sie einmal ganz losgerissen werden von sich selber ...
(Die neue Erziehung): ... Ihr ist nur die Welt, die durch das Denken erfaßt wird, die währe und wirklich bestehende Welt; in diese will sie ihren Zögling, sogleich wie sie mit demselben beginnt, einführen.
Die Sprache dieses Volks ist notwendig, so wie sie ist, und nicht eigentlich dieses Volk spricht seine Erkenntnis aus, sondern seine Erkenntnis selbst spricht sich aus demselben .
    Das also wäre Papierdeutsch. Dagegen lautet das allererste Wort des Antipapierenen Wustmann, der Auftakt seiner Einleitung:
Seit einigen Jahren sind uns plötzlich die Augen darüber aufgegangen, daß sich unsre Sprache in einem Zustande der Verwilderung befindet.
    Diese über mehrere Jahre verteilte Plötzlichkeit gibt zu denken und regt zu Vergleichen an. Den Klassikern waren bezüglich der Verwilderung die Augen noch nicht aufgegangen; sonst hätten sie vielleicht geschrieben:
»Was man von der Minute ausgeschlagen,
gibt keine Ewigkeit plötzlich zurück«,
     
    oder
»Es kann die Spur von seinen Erdetagen
nicht in Äonen plötzlich untergehen.«
     
    Ich möchte

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