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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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Zynismus, wie ihn auf dem russischen Thron nur das Scheusal Iwan, dem die Geschichte den Beinamen des Grausamen beigelegt hat, bewies, trägt jetzt wohl wider seinen eigenen Willen in Rußland X. X. zur Schau.«
    Die drei verhedderten Zeitworte »hat bewies trägt« bewirken, daß der ursprünglich klar gedachte Satz aus dem Gleichgewicht gerät und vor den Augen des Lesers umkippt.
»Schwachsichtigkeit, die die Folge von Verletzungen, welche die Hornhaut erlitten hat, ist, ist heilbar, wenn es dem Arzt gelingt usw.«
»Das Manöver ging darauf aus, durch geschickt erfundene Kabeldepeschen, die von London aus durch Vermittelung der unter britischem Einfluß stehenden Agenturen nach Amerika befördert wurden, die Handlungen der deutschen Regierung zu verdächtigen ... Man darf mit Sicherheit behaupten, daß das durch die zielbewußten verleumderischen Machinationen der Engländer genährte und geschürte Mißtrauen, das damals in Washington Wurzel faßte, trotz aller von Berlin aus ergangenen Aufklärungen und freundschaftlichen Beteuerungen seit jener Zeit bis zur Gegenwart unausrottbar fortbestanden hat.«
    Im Schachtelsatz ereignet sich ein Unglück selten allein. Wo sich Zeitwörter und Bindewörter ineinander verfilzen, treiben gewöhnlich auch die Präpositionen allerhand Unfug. Ihr Durcheinanderwirbeln verursacht zumeist den Eindruck des Taumeligen; denn eine Präposition soll Richtung geben, und wer in einem Atemzug drei, vier, fünf verschiedene Richtungen einschlägt, der bewegt sich direktionslos. Der gute und hohe Stil verfällt oft in Eigenheiten, die an den Regeln der Gegenwart gemessen auf die schwarze Liste gehören; dann wird die Regel eben unwirksam wie ein Polizeiparagraph vor einem Hoheitsrecht. Aber der wackelnde Schachtelsatz ist und bleibt Sünde, auch in den Schriften der Großen. Mir ist kein Beispiel eines übergeordneten rechtfertigenden Grundes bekannt. Da aber nichts ohne zureichenden Grund geschieht, so halten wir uns an das Horazische: – »quandoque bonus dormitat Homerus.« Der Sprachstümper liefert Schachtelsätze und Taumelsätze, weil er überhaupt nicht im Stande ist, seine Aufmerksamkeit fest einzustellen; der Sprachmeister, weil keines Menschen Aufmerksamkeit für dauerndes Wachestehen ausreicht. – –
    Neuerdings wird die Sprache von einem Übel bedroht, das meines Wissens von den Stilwächtern noch gar nicht recht bemerkt worden ist. Es handelt sich um den »Negativ-Stil«, der die Dinge durchaus in einem Umkehrungsspiegel erfassen will, anstatt ihnen gerade ins Angesicht zu blicken. Betrachten wir einige Beispiele, oder um den Sündern ihre eigene Ausdrucksweise vorwegzunehmen: lassen wir uns die Mühe nicht verdrießen, einige nicht unstatthaft gewählte Beispiele nicht mit Stillschweigen zu übergehen:
»Wir haben kein Recht, zu den Beamten dieses Staates kein Vertrauen zu haben und nicht zu glauben, daß sie nicht nach dem Gesetz verfahren.«
    (Aus einer Ministerrede.)
»Ein Teil der Presse hält es nicht für ausgeschlossen, daß der Beschluß des Polenklubs keine großen Weiterungen zur Folge haben werde.«
    (Bericht einer großen Berliner Zeitung von 1917.)
    (Oberstaatsanwalt Sch., Berlin 1910):
»Ich verkenne nicht, daß in letzter Zeit nicht Dinge zur Sprache kamen, die die Sittlichkeit gefährden konnten.«
    (Aus einem Roman):
»Hier handelte es sich nicht um zerstörte Illusionen: die Hoffnungen der Nichten wurden mit nichten vernichtet.«
    (Abg. Bassermann, 1910):
»Es liegt mir fern, an dem guten Willen des neuen Reichskanzlers zu zweifeln, und ich kann allerdings nicht sagen, daß er nicht ein reaktionärer Mann ist, jedoch vieles an ihm ist uns nicht unsympathisch.«
(Eugen Dühring, Geschichte der Philosophie):
»Es würde allen Grundsätzen natürlicher Schlußfolgerungen widersprechen, wenn wir nicht annehmen wollten, daß ein Aristoteles seiner Zeit nicht allzufremd geblieben sei.« – –
– »Hätte nach Kants Voraussetzung der menschliche Verstand die Fähigkeit, die Unhaltbarkeit der erwähnten drei Vorstellungen außer Frage zu stellen, so könnten sie auch in der Philosophie nicht mehr positiv in Frage kommen.«
    Jedes Kind weiß und empfindet es als logisch, daß zwei Verneinungen einander aufheben, so wie ein erster Spiegel rechts und links vertauscht und ein zweiter diesem entgegengestellter den positiven Bestand wiederherstellt. Aber der zweite Spiegel bringt keineswegs das gleichartige Urbild, sondern dessen verdunkelte Abschwächung,

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