Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
nicht mißverstanden werden: Nach heutigem Sprachgefühl entspricht die Beschränkung des Fürworts »derselbe« einer zurzeit bestehenden und für uns bis auf weiteres gültigen Regel; diese steht nicht in der Verfassungsurkunde der Sprache, aber immerhin in einer vorläufig bindenden Verordnung. Dagegen möchte ich doch für das bezügliche Fürwort »welcher« größere Freiheit verlangen, als ihn die Regel heute zugestehen will.
Zuerst erinnere ich daran, daß der Allerwelts-Ersatz »der, die, das, dem, dessen usw.« mit den anderen Bedeutungen in ein dauerndes und gefährliches Gedränge gerät. »Der« ist der allgemeine bestimmte Artikel, zugleich der demonstrative (dieser) und obendrein der bezügliche. Die einfachste Statistik müßte ergeben, daß unser Deutsch bei unterschiedsloser Anwendung dieser Fürwörter von dem Anfangskonsonanten d geradezu überschwemmt würde. Nun ist d nicht nur Verschluß-, Dental-Laut, sondern wie die Erfahrung ergibt, bei häufiger Wiederholung geradezu ein Stotterlaut; schon aus phonetischen Gründen müßte dafür gesorgt werden, daß das stotternde D-Gewimmel nicht überhand nimmt. Die tatsächlich vorhandenen oder absichtlich konstruierten Beispiele, die wie Scherze klingen, deuten im Ernst auf einen dauernden Zustand und eine beständige Gefahr: »Die Dichterin, die die Dido dithyrambisch verherrlichte ...« »Die, die die Didaktik Diderots zum Gegenstand ihrer Studien machten ...« »Der, der den, der den Pfahl, auf dem steht, daß der, der hier Gegenstände ins Wasser wirft, bestraft wird, selbst ins Wasser geworfen hat, anzeigt, erhält eine Belohnung.« – – – Das sind natürlich Äußerstfälle, allein zehnmal täglich gerät auch ins Stottern »der, der das der dauernd durchgehen läßt«, ohne sich des hilfsbereiten »welcher« zu erinnern. Wir haben uns an das ewige d gewöhnt, wie der Franzose an das unaufhörliche kehlkopfige k in qu, das ihre Sprache belastet; sie merken es nicht, aber es ist die unausrottbare Härte ihrer sonst so klangreichen Rede: »Je dis donc, que la souverainité, n'étant que l'exercice de la volonté générale, ne peut jamais s'aliéner, et que le souverain qui n'est qu'un être collectif, ne peut être représenté que par lui-même« (Rousseau); ... les officiers n'obéiront-ils pas avec plus d'allégresse à un homme de guerre, qui aura comme eux signalé son courage qu'a un homme de cabinet, qui ne peut que deviner tout au plus les operations d'une campagne, quelque esprit qu'il puisse avoir? (Voltaire). Zu unzählbaren Tausenden wimmeln diese qui, que, ne-que, verhärtet durch quel, quelque, quelconque, bis zum Eindruck des Keuchhustens für den, der drauf achtet. Es ist das gutturale Gegenspiel zu dem dentalen Dadaismus, dem wir entgegengehen, wenn »der, die, das, dem, dessen« wirklich alle Relativstellen besetzen sollten. Der Franzose ist gegen die »qu«-Flut wehrlos, wir aber können uns der »D«-Überschwemmung widersetzen.
Das bezügliche »Welcher« leistet aber nicht bloß klanglich wertvolle Dienste, sondern erscheint meinem Sprachgefühl auch nach seiner inneren Bedeutung ganz unentbehrlich. »Kein Mensch spricht welcher , es wird immer nur geschrieben,« lautet die Formel der antipapierenen Schulmeister; aber sie selbst sind mit dieser Formel auf dem holzpapierensten Holzwege und wissen einfach nicht, wie der gebildete Mensch redet. Ich sage allerdings:
Der Baum, der in meinem Vorgarten steht, verdunkelt mir im Sommer das Arbeitszimmer,
aber ich sage in anderem Zusammenhang:
Der Baum, welcher ein Organismus ist wie das lebendige Tier ...
Hört ihr den Unterschied? der Fex wird ihn nicht spüren, Baum ist ihm Baum, und ein Bezugsatz wie der andre. Prüfen wir weiter:
Der Lichtstrahl, der durch den Spalt fiel, zeigte dem Gefangenen, daß die Sonne bereits hoch am Himmel stand;
dagegen:
Der Lichtstrahl, welcher den Weltraum mit einer Geschwindigkeit von 300 000 Kilometern durcheilt, kann als eine elektrische Erscheinung aufgefaßt werden.
Der Mensch, der mir entgegentrat, war mit einem Knotenstock bewaffnet;
dagegen:
Der Mensch, welcher von Sophokles als das allergewaltigste Wesen gefeiert wird, ist das eigentliche Studium der Menschheit.
Das »Welcher« hat eben eine andre Betonungsschwere und unterstreicht das Allgemeine, in Erweiterung Gültige gegenüber dem zufälligen Einzelfall. Schopenhauer begnügt sich noch nicht mit dem gewichtigeren Fürwort, er schreibt zur Verstärkung der Akzentwucht:
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