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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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uns wiederholt jemals den Titel dieses meistgewälzten Buches. Wir sagen »Telephonbuch«, und wir telephonieren. Kein Mensch denkt daran, sich auf die vorgeschriebene, umständliche Konjugation des Zeitwortes einzulassen. Wendungen wie: »gestatten Sie mir fernzusprechen« – »er spricht gerade mit dem Kaufhaus fern« erscheinen uns geschraubt und komisch, und schließlich will doch auch der sprechende Mensch, wenn er als Fernsprecher auftritt, nicht mit einem Wandkasten verwechselt werden, der ebenfalls Fernsprecher heißen soll, obschon er gar nicht spricht, sondern Gespräche nur aufnimmt und leitet. Hauptsächlich aber: wie sich die Dinge im Verkehr gestaltet haben, ist die Bezeichnung geradezu verfehlt und irreführend. »Bitte das Fernamt« ruft man, wenn man ein wirkliches Fern gespräch beabsichtigt, das man von dem Stadtgespräch, dem Nahgespräch, nachdrücklich unterscheidet. Und die Behörde unterscheidet es ja ebenso geflissentlich. Stelle ich mich genau auf den Boden der amtlichen Verdeutschung, so spreche ich mit Herrn A. fern, wenn A. sich in Dresden oder Frankfurt befindet, und ich spreche mit Herrn A. nahe, wenn er in Groß-Berlin wohnt. Wem fällt es ein, sich auf diese überflüssigen Holprigkeiten einzulassen, da man doch, so oder so, mit Herrn A. ganz einfach »telephoniert«? Auf der einen Seite eine langatmige Bewegung, ein Druck von oben durch die Jahrzehnte, eine tausendfältig angewandte Machtfülle der Verordnung, – auf der anderen Seite der gesunde Sprechinstinkt der Masse, die das Weltwort vom Augenblick der ersten Erfindung an ergriffen hat und es mit allen Abwandlungen als das allein zweckdienliche festhält. Selbst der eingeschworene Fex wird nicht zu bestreiten wagen, daß das Weltwort auf der ganzen Linie als Sieger besteht.
    Interesse : Das Wort läßt sich nach Ausweis der Fachbücher auf mindestens vierzig Arten verdeutschen; nur daß jedes der Ersatzwörter in einem Teilbogen um den Grundbegriff herumgeht und selbst alle vierzig zusammen sich noch nicht zu einem vollen Kreis zusammenschließen. Darum eben ist dieses Beispiel so »interessant«! Die Ersätze lauten: Anteil, Teilnahme, Aufmerksamkeit, Beachtung, Spannung, Vorliebe, Anziehungskraft, das Fesselnde, der Anreiz, Belang, Nutzen, Vorteil usw., keiner ist falsch, keiner ganz richtig, und in dem, was ihm zur Richtigkeit fehlt, steckt gerade das »Interessante«. Es ist, als ob man den feinsten Duft, die letzte Essenz aus dem Wort herausgezogen hätte, und eine seltsame Verflauung tritt ein, wenn man das Wort zwingen will, auf das Interessante zu verzichten. In unseren Empfindungsorganen lebt ein Nerv, der nur von ihm getroffen wird, der nicht antworten will, wenn der Ersatz anklopft. Wie das zugeht, ist an dieser Stelle nicht zu untersuchen. Genug, daß jener Nerv sich nicht täuschen läßt und dem falschen Stichwort die Mitschwingung versagt. Willst du ihn mitschwingen lassen, Zeitgenosse, so halte dich nicht an die neuen Magister der Wortfexerei, sondern an Goethe:
»Die Jugend ist vergessen
Aus geteilten Interessen ;
Das Alter ist vergessen
Aus Mangel an Interessen .«
                      (Zahme Xenien.)
     
»Die Mädels sind doch sehr interessiert .«
                      (Faust I.)
     
»Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
Und wo ihr's packt, da ist's interessant .«
                      (Faust I.)
     
    Verdeutscht mir das und verbessert dem »verwelschten« Goethe das Handwerk und die Handschrift. Fex hält es für möglich, daß ihm dies völkisch gelinge. Er braucht dabei nicht gerade ins volle Menschenleben zu greifen, ihm genügt der Griff in das volle Wörterbuch.
    Kultur und Zivilisation : Sie ergänzen und durchdringen einander, zeigen im Grunde ein und dieselbe Erscheinung von verschiedenen Seiten betrachtet: so wie man zu den Begriffen Konvex und Konkav gelangt, je nachdem man zum nämlichen Bogen den Standpunkt wählt. Gibt sich die Überwindung des Rohzustandes in Gesetz und Einrichtung zu erkennen, so reden wir eher von Zivilisation; meinen wir den erreichten Grad der Pflege, besonders der Geistespflege, so sprechen wir von Kultur, ohne daß wir eine Trennung durch Begriffsabgrenzung für möglich erachten. Es gibt da keine Vorstufe und Nachstufe, jedes ist Voraussetzung und Folge des andern. Vor allem: Kultur und Zivilisation haben als Worte in historischer Entwickelung ihre

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