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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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wir vervielfältigen und kombinieren, desto mehr verschwindet uns der geschichtliche, politische Sinn des »Parlamentarischen Systems« unter den Händen. Daß vollends die exakte Wissenschaft (»geschlossenes System«, »System von Gleichungen«, »dekadisches System« usw.) niemals auf das eindringliche Weltwort verzichten kann, wird jedem als unumstößlich gelten, der jemals in diesen Gebieten gearbeitet hat.
    Krise : Gehört zu den Worten, in deren Sinn sich ein ganzer Zellenbau von Sinnfälligkeiten eingesponnen hat. Nur Schulfuchsentum und Neuerungssüchtelei wird sich an »politische Krise«, »Ministerkrise« mit Übersetzungskünsten heranmachen. Die vorhandenen: »Wendung, Wendepunkt, gefährlicher Zustand, Bedrängnis« usw. geben allesamt nur ungefähre Sinnrichtungen, ohne dem Hauptpunkt erkennbar nahezukommen, weil eben derartige »Krisen« Bestandteile unseres persönlichen Erlebens geworden sind und sich mit der ganzen Beziehungsfülle des Urwortes so fest in uns organisiert haben, daß wir jedes Abweichen vom Urworte als eine Verwaschung oder Verfälschung des Sinnes empfinden. Staatsbeamte in Notlage, in Wendung, in Bedrängnis erleben für sich und uns ganz andere Dinge als Minister in einer Ministerkrisis, die in ihren politischen Folgen oft viel weiter greift, als eine Amtsnot in Zeiten ohne Wetterzeichen der Krisis. Gab oder gibt es in solchen Zeiten ein einziges ernstzunehmendes Blatt, einen einzigen Schriftleiter, der den Ausdruck unterdrückt hätte? Nein, alle ohne Ausnahme brachten ihn in ihren Überschriften und hundertmal im Text, in fetten und schlanken Buchstaben, weil sie es alle gleichdeutlich empfanden: wer in den Zeiten der Krisis das Wort umschreibt, der verwechselt den Schatten mit dem Körper, der macht sich unverständlich, wo nicht gar lächerlich.
    Mikroskop : Wie einfach müßte es sein, das zu übersetzen! es ist ja ein faßbarer Gegenstand ohne Begriffsfülle mit sonderlich viel Deutungsmöglichkeit. Also man sagt und soll sagen: »Vergrößerungsglas«, damit wäre die Aufgabe gelöst. Restlos? doch wohl nicht, denn die Lupe ist doch auch ein Vergrößerungsglas, leistet dabei erheblich weniger und deutet nur die Richtung an, auf der das Mikroskop die Vollendung bietet. Um beide auseinander zu halten, müßte man schon sagen: »zusammengesetztes Vergrößerungsglas« oder noch richtiger »Gerüst (System) von Vergrößerungsgläsern«, und mit der unhandlichen Plumpheit des Ausdrucks hätte man sich dann abzufinden. Aber hier, wie so oft, gerät man bei den Ableitungsworten an die unübersteigliche Grenze. Mikroskopisch : »Nur durch das starke Vergrößerungsglas wahrnehmbar.« Und vollends: wie verdeutschen wir »Mikroskopiker, mikroskopieren«? Das löse mir einer vollkommen deutschsprachlich auf! Das gültige Weltwort rückt mit unübertrefflicher Deutlichkeit und Kürze den Gelehrten vor Augen, der mit Hilfe des Mikroskops seinen Forschungen obliegt und das unsichtbare Kleine bis zur Erkennbarkeit bearbeitet. Und nun warten wir auf den Sprachfex, der uns mit allerprobter Verwegenheit vorschlagen wird, die Neuheit zu bilden: »Der Vergrößerungsglaser vergrößerungsglaselt.« – In ausgewählten Einzelfällen wäre ja ein Notersatz denkbar, denn ein mineralischer »Dünnschnitt« und »Dünnschliff« kann allerdings ein »mikroskopisches Präparat« sein. Nur läßt sich die Sache nicht umkehren, denn in 99 von hundert Fällen ist das mikroskopische Präparat weder Schnitt noch Schliff, sondern ganz etwas anderes und meistenteils etwas, wovon der Fex nichts weiß. Oder sollte er eine Ahnung davon haben, was der Atomforscher von heute mit dem »Ultramikroskop« anfängt? Ist wohl kaum anzunehmen; denn wenn er sich mit diesen schwierigen Dingen beschäftigt hätte, würde er schwerlich die Zeit gefunden haben, nebenher ein Sprachfex zu werden.
    Telephon : Wiederum ein Gegenständliches, und noch dazu eines, das seit ungefähr vierzig Jahren unter amtlichem Sprachschutz steht. Denn die Behörde kennt kein »Telephon«, sondern nur den Fernsprecher, sie hat ihre ganze ausschlaggebende Machtfülle für das Wort eingesetzt und damit erzielt, daß von den Millionen, die sich der Einrichtung dauernd bedienen, auch nicht ein einziger »fernspricht«. Der Titel unseres amtlichen Handbuches lautet gewichtig und schwülstig:
Verzeichnis der Teilnehmer an den Fernsprechnetzen in Berlin und Umgegend,
    täglich, oft stündlich, haben wir ihn vor Augen, und nicht ein einziger von

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