Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Prägung gewonnen, die sich weder abwischen noch durch irgendwelchen Sprachbefehl anderswohin übertragen läßt. Und nun schlage man die Wörterbücher auf, prüfe die Ersätze und frage sich, ob diese mehr geben als Rednerei zum selben Thema, ohne jene Prägung. Kultur: Anbau, Bearbeitung, Anpflanzung, Wirtschaft, Zucht, Geistesbildung, Veredelung, Gesittung usw. und bei Zivilisation fast gleichlautend: Bildung, Gesittung, Schliff, Veredlung, Verfeinerung der Sitten. Es ist derselbe Grad der Vollendung und Eindringlichkeit, als wenn man Florenz mit die Blühende und Neapel (Neapolis) mit Neustadt übersetzt. Man kommt zumal bei der unentbehrlichen Verbindung beider Worte »Kultur und Zivilisation« mit den Übersetzungen in ein Gemengsel von Tautologien, von Gleichklängen hinein, – und die Prägung, der für die ganze Welt erkennbare und gültige Stempel, ist herunter.
Element : Man kann hoch darauf wetten, daß unter zehn neumodischen Sprachfrisören sich noch nicht einer befindet, der sich um die Herkunft des Wortes Element ernsthaft bekümmert hat. Aber sie erhitzen sich allesamt bis zur Weißglut, wenn sie es in Schrift oder Rede vorfinden. Bei Bekanntschaft mit den einschlägigen Abhandlungen von Diels und Mauthner, die das Wort bis zu elepantus, ἐλέφας, bis zum Indischen, dann wieder in anderer Reihe bis zu Empedokles und Aristoteles zurückverfolgen, würde sich die Wut der Weißglühenden merklich abkühlen. Ihnen würde dann eine Ahnung aufsteigen, daß das »Element«, sofern es an die Grundbuchstaben, an die Anfangsgründe, an das naturwissenschaftlich Unzerlegbare gedanklich anknüpfen soll, jene Herkunft zu betonen hat, aber nicht verleugnen darf. Der Übersetzer sagt: Urstoff, Grundstoff, Bestandteil, Keime, Zelle, Fach, Gebiet, Kraft, Ding, Wert, Größe usw. und stochert damit aus dem Elementbegriff allerhand heraus, oder wickelt ihn in allerhand ein, was im Einzelfall als Notbehelf gute Dienste leisten kann; nur die Herkunft wird dabei verleugnet, weil der Übersetzer sie nicht kennt oder für nebensächlich hält, während gerade sie das wesentliche an der Sache, das »Elementare« bedeutet. Gewiß, er wird auch für »elementar« etwas passendes in Bereitschaft haben, wiederum für gewisse Fälle, also gegebenenfalls: »naturgewaltig.« Verlange ich nun aber, daß er mir für das Hauptwort einen Ersatz stelle, der den »Grundstoff« enthält, den »Keim«, das »Ding«, und dabei auch noch die »Naturgewalt«, auf die es mir ankommt, so wird er in Verlegenheit geraten; weil diese Vereinigung sich nicht in der Sprachretorte herstellen läßt, sondern ausschließlich auf natürlichem Sprachboden erwachsen kann. Und in diesem natürlichen Wuchs heißt sie eben: »Element« und nicht anders.
Illusion . Wir notieren auf den Spuren unsrer besten Entwelscher: Täuschung, Verblendung, Wahnbild, (schöner) Wahn, eitle Hoffnung, Einbildung, (falsche) Vorstellung; und Ähnliches, ja Gleichlautendes findet sich auf dem Spektralband, wenn sie die Begriffe Fiktion, Halluzination, Phantom, Vision, Ideal, Imagination durch ihr Deutschprisma zerlegen. Wahn, überall Wahn! wie Hans Sachs in den Meistersingern ausruft. Daß die Wissenschaft jedem der Ausdrücke Selbständigkeitswerte zuweist, davon ist in diesen Zerlegungen nichts zu merken; und ebensowenig, daß bei aller »Einbildung«, »Täuschung«, allem »Wahn« zum Trotz in der Illusion wie im Imaginären positive Wirkungen stecken; gerade das Gegenteil heben die Übersetzungen hervor, indem sie in der Verlängerung des Spektralbandes ausdrücklich eintragen: »ohne Wirkung, wirkungslos, vergeblich, hinfällig.« So verwandelt sich der »imaginäre Wert« in einen »unmöglichen Wert«, und nichts bleibt übrig für die Feststellung, daß neben dieser Unmöglichkeit für das Imaginäre eine vielfältige Möglichkeit, ja Notwendigkeit besteht, wie jedem Mathematiker geläufig ist. Daneben finden wir »bildlichen Wert« als gänzlich nichtssagende Umschreibung, da in der Mathematik nicht nur der Imaginär-Ausdruck, sondern sämtliche Bezeichnungen bildlichen Wert besitzen. Und so liefert jenes Deutschprisma bei Zerlegung der »Illusion« zwar vorhandene Bestandteile, aber mit Unterdrückung einer Hauptsache, nämlich der lebendigen Wirkung , die der Illusion eignet.
Ich zitiere aus einem vortrefflichen Philosophiewerk (»Der Sinn des Daseins« von L. Stein): »Die großen Ideale des Menschengeschlechtes, als da sind: Heiligkeit, Seelengröße,
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