Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
und dieser Leistung eine nur zu fühlende, niemals ausdrückbare Färbung und Tönung zu verleihen. Der Sinn schafft das Wunder, eine Quantität (die Menge der empfangenen Wellen-Erregungen) in eine Qualität umzuwandeln, und diese wunderbare Abhängigkeit muß hörbar bleiben. Besäßen wir ein Wort, das sich zu »Menge« klanglich und begrifflich genau so verhielte wie Qualität zu Quantität, so wäre hier das Fremdwort, das Weltwort, überflüssig. »Beschaffenheit« und »Eigenschaft« greifen aber weit über jene Beziehung hinaus, da sie alle erdenklichen Sinnesmöglichkeiten, die Brechung in der Augenlinse, die Sehschärfe, die Hörschärfe, die Lagerung der Einzelteile im Organ umspannen, ohne gerade das, was wir unter Qualität verstehen, irgendwie zu begrenzen; und zudem enthalten sie im Wortklange nicht die allerleiseste Beziehung auf die »Menge«, sie entbehren also gerade des Hinweises, auf den es besonders ankommt.
Ideal : Mag in vielen Fällen recht gut ersetzbar sein durch: das Vollkommenste, Höchste, Schönste, Vorbild, Musterbild, Traumbild, Gedankenbild, Sehnsuchtsbild, erhabenstes Gut usw., nur nicht dort, wo ich alle diese Übersetzungen in ihrer Vereinigung brauche und zugleich den Wunsch habe, im Leser oder Hörer die Berufung an Platos Ideenlehre anklingen zu lassen. Die Vorstellung, daß es sich um etwas von der Wirklichkeit abgezogenes und zugleich gänzlich Unerfüllbares handelt, hat sich geschichtlich so fest in das eine Wort eingelagert, daß bei jedem Ersatzwort der Mangel dieser Einlagerung deutlich fühlbar wird; sie wirken ärmlich, weil ihnen die Wortgeschichte und Beziehungsgeschichte, das »Ideal« fehlt. »Traumbild«, »Gedankenbild«, »Sehnsuchtsbild« können sich mit einem Ideal beschäftigen, aber auch mit gänzlich Un-Idealem; und das gegenständliche – »Bild« bleibt zumeist ein Widerspruch gegen das im Übersinnlichen schwebende Ideal; wie es sich denn auch verflüchtigt, sobald wir vom Hauptwort zum Zeitwort übergehen. Bei » Idealisieren « finden wir: vollkommen, in höherer Auffassung, künstlerisch, in reinen Kunstformen usw. darstellen oder gestalten; zur Vollkommenheit erheben, veredeln, verschönern; nicht aber: »gedankenbildnern«, »traumbildnern«, »sehnsuchtsbildnern«. Dazu kommt noch, daß »Ideal« klangmusikalisch einen besonderen, unersetzbaren Wert darstellt. Schiller schrieb: »Die Ideale «, »das Ideal und das Leben«, schrieb:
Erloschen sind die heitern Sonnen,
Die meiner Jugend Pfad erhellt,
Die Ideale sind zerronnen,
Die einst das trunk'ne Herz geschwellt;
schrieb:
Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben,
Werft die Angst des Irdischen von euch,
Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
In des Idealen Reich!
schrieb:
»Das Jahrhundert ist meinem Ideal nicht reif«
– und war doch wohl ein deutscher Dichter und kein »Welscher«, als er das schrieb.
Nation, national : Ohne weiteres sei zugegeben, daß sich diese Worte in den allermeisten Fällen verdeutschen lassen; freilich mit den auch an andern Orten wiederholten Vorbehalten, die sich der Nebenbedeutung des »Völkisch« entgegenstellen. Aber ich möchte doch fragen, ob denn eigentlich ein ersichtlicher Grund vorliegt, die »Nation« abzuschaffen und bei einem so weitgespannten Begriff die Wortauswahl künstlich zu verengen: »Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr alles freudig setzt an ihre Ehre!« Man muß schon sehr völkisch empfinden, um in diesem Satz die Übersetzungsbedürftigkeit herauszuspüren. Und wie steht es mit den feinen Ableitungen, die uns ein übertriebenes, überschärftes, nach der politischen Seite gefährliches Empfinden und Wollen darstellen? kurzum, wie übersetzt man »Nationalist, nationalistisch, Nationalismus«? Etwa mit »Übervölkler«, »übervölkisch«? Die beste Antwort gibt schon Sarrazin (vierte Auflage), indem er sich darüber ausschweigt: der Nationalist fehlt in seinem Register. Aber auch bei den Grundformen selbst wäre noch an allerlei zu erinnern; so z. B., ob denn nun die »National-Zeitung« verpflichtet wäre, sich fortab »Volks-Zeitung« zu nennen, und ob der Verlag der »Volks-Zeitung« mit diesem Eingriff einverstanden sein müßte.
Prinzip : Leitsatz, Quellsatz, Grund, Urgrund, Grundgesetz, Grundregel und noch viele andere, deren Gebrauchstüchtigkeit nicht angezweifelt werden darf. Und trotzdem muß das »Prinzip« gerettet werden, überall wo aus dem Zusammenhang ein gerader oder anlehnender Hinweis auf einen
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