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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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Gesinnungsvornehmheit, Ehre, Nachruhm, Liebe, Patriotismus, Nationalismus, Weltmacht, ... – alle diese Granden im Reiche menschlicher Idealbildungen haben von der Pike auf gedient, das heißt, ihre Begriffskarriere ganz bescheiden als Illusions-Proletarier begonnen.« Die schöne Begründung des schönen Satzes findet sich in der Urschrift. Sie zeigt uns die großen, unersetzlichen Lebenswerte, die sich mit dem Wort und Begriff »Illusion« verknüpfen, und die sofort abgestreift werden, sobald man dem Wahn, der Einbildung, der Wirkungslosigkeit gestattet, in die Übersetzung hineinzupfuschen.
    Klassiker : Und »Feindschaft sei zwischen euch«, nämlich zwischen dem Klassiker und dem, der ihn übersetzen will. Will er denn wirklich? Ach, wie gerne würde er sich um die Aufgabe drücken, deren Unmöglichkeit ihm ja klar vor Augen steht und an die er nur in der Zwangsläufigkeit der Bewegung gerät. Wenn irgendwo, so muß er hier zum Verräter am Worte werden: traduttore – traditore! In die Unkosten längerer Beweise braucht man sich kaum zu stürzen, die bloße Nebeneinanderstellung müßte genügen; wir finden da wörtlich und übereinstimmend: Klassiker: »Meister- oder Musterschriftsteller, Dichter usw., solcher ersten Ranges.« Und wo bleibt da die bestimmte Erinnerung an Athen, an Rom, an Florenz, an Weimar? wo bleibt der literaturgeschichtlich feststehende Gegensatz zum Romantiker ? was fange ich an, wenn mir der Frühklassiker mit dem Spätromantiker ins Satzgehege kommt? Also schlagen wir die Übersetzungen zu » Romantiker « auf, um den Gegensatz im »reinen« Wort aufzuspüren. Der weise Sarrazin schweigt sich aus, er rettet seine Seele, indem er die Schwierigkeiten einfach überspringt. Im Hilfsbuch von Düsel lesen wir: romantisch : ( auch :) wildschaurig, dämmerhaft, unklar, nebelhaft, unglaubwürdig, abenteuerlich. Das eingeklammerte »auch« spricht Bände; und Bände der Literatur sind auch erforderlich, um das auseinanderzusetzen, was wir klar und allgemeinverständlich in den Ausdruck »Romantiker« hineinlegen. Alle Welt weiß, was damit gemeint ist, und alle Welt müßte dem ins Gesicht lachen, der die weltgültige Abkürzung schulmeisterlich entzweiwalzt. Klassiker und Romantiker sind Wortkristalle von Edelsteinwert; an Stelle dieser Kristalle bietet uns der scholastische Wortklauber Schwämme, Mollusken. Schlegel, Tieck, Uhland, Novalis, Eichendorff – Chopin und Robert Schumann hören auf, Romantiker zu sein und werden »Wildschaurige«, »Dämmerhafte«, »Unglaubwürdige«. Aber Meister ersten Ranges bleiben sie doch trotzdem, also doch wieder »Klassiker«? Es ist nicht auszudenken, man kann die Vermanschung unmöglich weiter treiben. – Und nur nebenbei: die strenge Wissenschaft würde sich für solche Sprachhilfe mit einem Fußtritt bedanken. Sie redet im Sinne der Physik z. B. von der »klassischen Mechanik«; beabsichtigt dabei aber keineswegs, diese als »meisterhafter«, als »musterhafter« hinzustellen, als die neuere (elektrodynamische, relativistische) Mechanik. Was sie will, ist der jedem Höhergebildeten sofort verständliche Hinweis auf die »Klassiker« ihres Faches, auf Galilei, Huyghens, Newton usw.; was sie will, ist die geschichtliche Zuordnung, ihrer Weltbedeutung gemäß, dieser Klassiker zu den anderen Klassikern der Weltgeschichte. Der Wortkristall »Klassiker« besitzt genügend viel Glanzflächen, um all dies und noch viel mehr wiederzustrahlen; die Wissenschaft, wie ihre Schwester, die Kunst, wird sich dafür keinen stumpfen Holzkloben oder ein breiiges Gemengsel aufschwatzen lassen.
    Lyrik : Still und verschämt schleichen die Hilfsbücher um den Ausdruck herum. Sie fühlen wohl, daß da ehrlicherweise nichts zu holen ist. Mit einem schüchternen Hinweis auf Leier und Lied gehen sie der Schwierigkeit aus dem Wege. Bei Duden heißt es: lyrisch: Zur Leier singbar; der persönlichen Stimmung Ausdruck gebend; liedartig; dazu: Lyriker: »lyrischer Dichter.« Das wird annähernd stimmen, wie es überhaupt am besten stimmt, wenn man das eingebürgerte Fremdwort ungeschoren läßt. Denn was finge man sonst mit der »lyrischen Oper« an, mit einem »lyrischen Tenor«, mit der Lyrik einer Mondnacht, mit dem lyrischen Gehalt einer Dichtung? In der Odyssee, also in einem Epos, wirkt so manches, wie die Begegnung mit Nausikaa, echt lyrisch. Wird es darum liedförmig? müssen wir eine Leier herbeiholen, um uns die Lyrik der Szene zu vergegenwärtigen? Freilich, der

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