Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Denkvölker, umschließt die Anerkennung des besten Stils, der besten Prosa; umschließt sie für jeden, der die Gleichsetzung von Denken und Sprache völlig begriffen hat. Wer dieses Prinzip leugnet, der tastet an der Außenfläche der Dinge herum, entschlägt sich aber des einzigen durchgreifenden Mittels, in die Tiefe der sprachlichen Erscheinungen zu dringen.
Den Leugnern zuzuordnen sind die Nichtkenner des Prinzips, die große Zahl derer, die sich die Frage überhaupt noch niemals vorgelegt haben, geschweige denn ihren Grund ahnen, die im alten Trott der Betrachtung vermeinen, man könne Stil und Inhalt auseinanderlegen, wie den Stiel und die Klinge eines Messers. Was dabei herauskommt, das wollen wir an einem Muster erproben.
Nirgends hat die amtliche, durch Autorität gestützte Sprachpflege so starken Ausdruck gefunden, als in Frankreich. In ihrer obersten Einrichtung, der französischen Akademie , war allzeit die Sprache selbst ausschlaggebend für Meinungen und Beschlüsse, die als die Offenbarungen eines sancti officii mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit auftraten. Und man weiß ja, daß unsere privaten Sprachvögte ähnliche Regulative auch für Deutschland herbeiwünschen.
Vierzig Unsterbliche gehörten allzeit zum Bestand dieser Körperschaft, deren Satzungen von Gelöbnissen für »Reinheit« und »Eloquenz« der Sprache troffen, während von Gedankenwucht und derlei Dingen neben der Sprache nicht weiter die Rede war. Und so vollzog sich das Geschick ganz folgerichtig: Die Geschichte der Unsterblichen enthält zugleich die Geschichte unsterblicher Lächerlichkeiten.
An die Pforte dieses Institutes klopfte René Descartes, der Schöpfer der analytischen Geometrie, der einzige Vertreter systematischer Philosophie in Frankreich, ein Geistesheld, dessen Wort durch die Jahrhunderte dringt, durch die Jahrtausende dringen wird. Aber er verfügte nicht über das Kennwort, das den akademischen Bonzen geläufig und verständlich war. Er prallte an der Pforte ab, ist nicht in die Akademie aufgenommen worden.
Das Programm wurde durchgeführt. Konnte man dort einen Pascal brauchen? einen Molière? – Draußen bleiben! hieß die Parole der Gewaltigen, deren Köpfe so voll von Sprache und Sprachregeln waren, daß für den Gedanken kein Platz mehr übrig blieb. Und man muß es ihnen zugestehen: sie hatten eine feine Witterung für störende Bedeutsamkeiten; sie verrammelten die Akademie gegen Diderot, gegen Larochefoucauld, gegen beide Rousseaus, gegen Beaumarchais, Lesage, Béranger, Balzac, Dumas, Lammenais, Théophile Gautier, die Goncourt, Flaubert, Michelet, Daudet, Emile Zola, sie blieben hübsch unter sich und wurden nicht müde, die Sprache zu pflegen, zu säubern, »eloquent« zu machen.
Die wirklich Unsterblichen durften nicht in die Gesellschaft der »unsterblichen« Herrschaften auf den vierzig Fauteuils, die sich vielmehr durch Flachschreiber und Modegrößen ergänzten, durch Schriftsteller wie Pierre Loti, Lavedan, Capus, Richepin, Barrès, Hanotaux, Claretie, ferner durch den Herzog von Aumale, Joffre, von denen man erst am Tage der Wahl erfuhr, daß sie überhaupt etwas geschrieben hatten.
Mit der Erklärung dieser Vorgänge durch Koterie und Cliquenwirtschaft kommt man nicht weit. Das Grundübel saß in der gedankenarmen Geistesverfassung der Körperschaft, die mit dem Schlagwort der Sprachreinheit auszukommen wähnte und niemals das Prinzip ergriff: daß eine Sprache für sich, ein Stil für sich gar nicht existiert. Einer bedächtigen Kritik mag es vorbehalten bleiben, zu bestimmtem Zweck den Stil in Prosa und Dichtung als etwas Besonderes zu betrachten, stets mit dem Bewußtsein des Vorläufigen, Einstweiligen; so wie man in der Wissenschaft Hilfslinien, Hilfskonstruktionen, Gerüste einführt, welche die Arbeit erleichtern, aber an sich keine Bedeutung besitzen und später getilgt oder abgebrochen werden müssen. Wer aber ein Werk, und nun gar ein Lebenswerk grundsätzlich zerschneiden will nach Stil und Inhalt, der gerät in die Rolle eines Ästhetikers, der in einem musikalischen Kunstwerk den Rhythmus von der Schöpfung abspalten möchte; das heißt, er faselt. Noch nie hat ein guter oder interessanter Rhythmus zu einem schlechten Tonwerk gehört, noch nie ein schlechter oder langweiliger Rhythmus zu einer in Erfindung bedeutsamen Komposition. So hat ein Gedankenwerk, ein Dichtungswerk, das etwas vorstellt, das zu uns spricht, weder einen guten Stil, noch einen schlechten, weder einen
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