Das Geheimnis der toten Vögel
stand immer noch in seinem kleinen Topf, und das Omelett lag auf dem Teller. Auf einem Bein hinkend, mit einem geblümten Stofflappen um den einen Fuß, begab sich Petter die Treppe hinauf zu Rubens Schlafzimmer im oberen Stockwerk. Berit saß am Küchentisch, die Hände auf dem Schoß gefaltet. Die Beine trugen sie nicht, da konnte Cederroth sagen, was er wollte. Nach einer kleinen Weile kam er mit einem seltsamen Gesichtsausdruck zurück. Er hielt sich mit beiden Händen so verkrampft am Treppengeländer fest, dass die Knöchel ganz weiß waren. Er suchte ihren Blick, und es sah aus, als wollte er lachen und weinen zugleich.
»Was ist los, Petter? Warum siehst du so seltsam aus?«
»Er ist tot. Mausetot. Völlig kalt. Ich habe ihn angefasst und seine Wange berührt. So.« Petter strich mit seiner großen Hand über das Geländer. »Eiskalt.«
»Großer Gott, was machen wir bloß? Wenn es nun die Pilze waren!«
Berit hielt sich die Hände vor den Mund und schloss die Augen. Sie wollte einfach nur weg von all dem hier, weit weg, an einen sicheren Ort, wo alles wie immer war. Der Schwindel nahm zu, und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sie stand rasch auf und tastete sich zu Rubens Toilette. Auf dem Waschbeckenrand lag seine Zahnprothese in einem Wasserglas. Das genügte, um den Brechreiz auszulösen.
»Ich bringe dich ins Krankenhaus«, sagte Petter. »Doch, das mache ich. Keine weiteren Proteste. Das kann etwas Ernstes sein. Sie werden einen Arzt rausschicken müssen, der weiß, was man mit dem … mit der Leiche machen muss. Oder ruft man die Polizei an? Stimmt, man ruft die 110. Aber das mache ich von unterwegs. Wenn es die Pilze waren, dann kann es eilig sein.«
»Aber Ruben … wir können doch nicht einfach weggehen, oder?«
»Wieso, er wird schon nicht wegrennen. Er liegt, wo er liegt. Vielleicht muss man dir den Magen auspumpen, weißt du?« Cederroth packte Berits Arm und half ihr auf die Füße.
»Bist du sicher, dass er richtig tot ist? Es kann nicht sein, dass er nur so aussieht, also, dass er schläft oder so?« Berit rang die Hände vor Verzweiflung und hoffte auf ein Wunder.
»Mausetot, und jetzt kommst du mit raus, und dann hole ich das Auto.«
»Ich habe noch nicht mal etwas Richtiges an. Das ist alles ein Elend. Ich muss mich anständig anziehen. Das geht so nicht. Wenn er an den Pilzen gestorben ist, dann ist es besser, wenn ich zu Hause bleibe und auch den Löffel abgebe. Was werden die Leute nur sagen? Ich werde nicht mehr in den Laden gehen und niemandem in die Augen sehen können …«
»Es ist gar nicht sicher, dass er an den Pilzen gestorben ist. Er kann einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall oder was weiß ich gekriegt haben. Setz dich nach vorn. Ich habe hier Plastiktüten, die du benutzen kannst, wenn dir schlecht wird«, sagte Petter und legte Berit die Rolle auf die Beine. Sein ganzes Leben lang schon fuhr er Taxi und wollte kein Risiko eingehen.
In der Ambulanz gab es zunächst ein Missverständnis, weil man dachte, es ginge um Petter Cederroths Fuß, der auf sehr auffällige Weise in ein geblümtes Baumwolltuch eingewickelt war. Die Krankenschwester, die sie aufnahm, war gestresst, und es fiel ihr schwer, der Erzählung eine Struktur abzugewinnen. Die Wunde im Fuß war tief und hatte stark geblutet. Berit fiel in dem Augenblick in Ohnmacht, als die Wunde desinfiziert wurde. Das fasste man als eine Schockreaktion auf. Als Petter Cederroth von Magenauspumpen, Brieftauben und einem verstorbenen Nachbarn sprach, hielt man das für verrücktes Gerede. Anscheinend litt er unter Verfolgungswahn.
Als die ohnmächtige Frau nicht gleich wieder zu sich kam, rief man einen Arzt. Der konnte schnell feststellen, dass ihr Zustand ernst war. Der Sauerstoffgehalt war stark gesunken und der Blutdruck nicht messbar. Sie wurde auf eine Trage gehoben und in ein Behandlungszimmer gebracht. Im Wartezimmer blieb Cederroth zurück. Es sah die kleine Lampe an der Tür von grün zu rot wechseln und fragte sich, was das wohl bedeuten könnte. Auf dem Fußboden rollte ein kleiner Junge mit seinem Plastiktraktor herum und direkt über Cederroths Fuß. Das tat dermaßen weh, dass er vor Schmerz aufschrie und der Jungen zu weinen anfing. Um zu zeigen, dass es nicht weiter schlimm war, gab Petter der Mutter und dem kleinen Jungen jeweils ein Honigbonbon, und dann war er dran, in ein Zimmer zu kommen, damit er genäht
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