Das Geheimnis der toten Vögel
So war es gestern gewesen, als er einen der Ärzte vom neuen Gesundheitszentrum gefahren hatte, natürlich ein Privatunternehmen, wo die Schwestern wie Stewardessen aussahen und so deutlich und freundlich redeten, als würden sie ständig abgehört. Sonja behauptete sogar, sie müssten vor der Einstellung Stimmproben abgeben. Reine Hammar hieß der Arzt. Petter hatte die Reportage über ihn in der Zeitung gesehen. Er war groß, an die zwei Meter, trug einen perfekten Anzug und eine perfekte Frisur, und er war erkältet oder litt an einer Allergie. Er schnäuzte sich nicht, sondern saß nur da und schniefte und räusperte sich. Nach zehn Minuten im Auto ging einem das Geräusch auf die Nerven. Seine Frau war auch in der Zeitung abgebildet gewesen, eine schicke Person, die so aussah, als wüsste sie, was sie wollte, ebenfalls Ärztin. Aber sie war es nicht, die Hammar gestern im Taxi mit dabeigehabt hatte. Das war eine süße junge Frau mit langem blondem Haar gewesen, in weißem Rock und hohen Stiefeln. Hätte seine Tochter sein können. Die Adresse lautete Jungmansgatan. Hammar wohnte in einem Haus für 4,5 Millionen Kronen auf Norderklint, wenn er nicht kürzlich umgezogen war. Das hätte aber sicher in der Zeitung gestanden.
Petter war das Risiko eingegangen, Fußgänger und Fahrradfahrer zu überfahren, um die Unternehmungen des Paares im Rückspiegel zu beobachten. Da war kein Zögern, keine Unsicherheit, als sie den Reißverschluss seiner Hose öffnete. Es war nicht das erste Mal. Als sie den Kopf herunterbeugte, fing sie Petters Blick im Spiegel auf und blinzelte ihm mit einem amüsierten Lächeln zu. Das war der Moment, als er die Ausfahrt im Rondell verpasste, doch es schien ihnen nichts auszumachen, eine weitere Runde zu drehen.
Als er aus dem Auto ausstieg, hatte Hammar Cederroth einen Fünfhunderter in die Hand gedrückt. »Sie haben Schweigepflicht, nehme ich an.«
»Selbstverständlich!«, hatte er geantwortet und den Schein in die Hosentasche geschoben. Es kann nie schaden, wenn man Trinkgeld bekommt.
Der Rest der Nacht war leider nicht gleichbleibend unterhaltsam verlaufen. Als die Fähre gegen Mitternacht kam, hatte er eine ältere Dame nach Fårö gebracht. Dort wollte sie in einer Hütte übernachten, die sie von einem entfernten Verwandten gemietet hatte, doch als sie in der Dunkelheit ankamen, wusste sie nicht genau, um welche Hütte es sich handelte. Da war es fast halb zwei Uhr nachts gewesen, und man konnte ja schlecht anklopfen, weshalb sie wieder in die Stadt zurückgefahren waren, wo sich die alte Dame im Stadshotell von Visby eingemietet hatte. Manche Leute hatten einfach zu viel Geld. Sie hatte sich für die Unterhaltung bedankt und gesagt, allein die wäre schon jeden Öre wert gewesen. Petter hatte so ein dumpfes Gefühl, als gäbe es vielleicht überhaupt keinen Verwandten auf Fårö, und sie hätte ihn für die Unterhaltung und die kleine Rundtour durch die Nacht bezahlt, als hätte es sich um ein kleines Abenteuer zu zweit gehandelt. Dabei hatte Petter kaum ein Wort gesagt, sondern sich nur die phantastischen Geschichten aus der Vergangenheit Fårös angehört und überlegt, dass er sie eigentlich hätte gratis mitfahren lassen sollen, so interessant war es gewesen. Sie hatte von dem neuen Pfarrer erzählt, dem durchs Ohr geschossen worden war, nachdem er nach Fårö gekommen war und verkündet hatte, dass die Leute dort so wie die anderen Schweden auch den Zehnten bezahlen sollten. Die Kugel steckte nach wie vor im Altarbild fest, als eine Warnung an nachfolgende Pfarrer, hatte die Dame gesagt. Und lachend hatte sie die Originale beschrieben, die ihr ganzes Leben lang Fårö nie verlassen hatten. Warum auch, wenn man sich doch im Zentrum der Welt befand und alles andere nur die Peripherie war? Und von dem Kirchenmann, der nach einem Fest von der Bremse gerutscht, vom Weg abgekommen und durch den Zaun gefahren war, der zum Haus einer gewissen Hulda gehörte. »Da kommt dein Seelenhirte, Hulda«, hatte er gesagt. »Immer mit der Ruhe, es ist nur dein Seelenhirte, Hulda.« Die alte Dame verstand es wirklich, Geschichten zu erzählen, und er hatte sehr lachen müssen. Aber das Beste war die Geschichte vom »Allvater«, dem Mann, der alle unehelichen Vaterschaften auf der Insel übernahm, damit niemand vaterlos aufwachsen musste. Deshalb sind auf Fårö alle miteinander verwandt.
Dann hatte er einen Mann mit Krämpfen in der Brust in die Notaufnahme gefahren.
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