Das Geheimnis der toten Vögel
wollte.
Marianne hatte wegen eines Emphysems eine Lungentransplantation hinter sich und war seither im Vorruhestand. Sie war überglücklich, Kinder im Haus zu haben, und bot sogleich an, auf sie aufzupassen, wenn es mal erforderlich sein sollte. Zwar konnte sie leider nicht mit ihnen im Garten Fußball spielen, aber sie war doch immer für sie da. Tomas kümmerte sich um den Garten, das war sein großes Hobby, und Maria hatte nichts dagegen, Zugang zu einer grünen Oase zu haben, ohne dafür Verpflichtungen übernehmen zu müssen. Ein weiterer Vorteil war, dass sie zusammen mit Tomas Hartman zur Arbeit fahren konnte. Als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern musste man das Geld zusammenhalten. Außerdem konnten sie eine Reihe kleinerer Dinge und polizeilicher Formalitäten bereits im Auto abklären. Und Emil konnte zu Fuß zu seinem Fußballtraining in Klinte gehen.
»Ich habe dir das Buch mitgebracht, über das wir gestern gesprochen haben, Marianne. Du kannst es zuerst haben, dann leihe ich es mir, wenn du es ausgelesen hast. Ich brauche momentan etwas mehr Wirklichkeitsflucht, deshalb habe ich mich für Krimis entschieden. ›Mythos Seuche‹ ist vielleicht etwas zu realistisch. Auf der Rückseite steht etwas über die Pest und die Spanische Grippe, von der man jetzt neue Zahlen hat, und der in Schweden um die hunderttausend Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Klingt etwas heftig. Mal sehen, wie du es findest.«
»Wie nett von dir. Du, ich habe gehört, dass Berit Hoas im Krankenhaus liegt. Meine Freundin hat es mir erzählt. Es wird doch nichts Ernstes sein?«
8
Petter Cederroth lag im Halbschlaf in seinem Bett und blinzelte gegen den schmalen Streifen grauen Nebels, der unterhalb des Rollos ins Zimmer drang. Sonja war da gewesen und hatte ihn zweimal geweckt, aber er hatte sie gebeten, ihn in Ruhe zu lassen, damit er noch ein wenig schlafen könnte. Sie sagte, die Polizei habe ihn gesucht, und schon um zwölf hatte eine Krankenschwester aus der Klinik angerufen und mit ihm sprechen wollen. Es hatte irgendetwas mit Berit Hoas zu tun. Die Leute begriffen einfach nicht, was eine Nachtschicht bedeutete. Wenn man um sieben Uhr nach Hause kommt, schläft man frühestens um acht. Um zwölf hat man dann gerade vier Stunden geschlafen. Vier Stunden! Wenn dann jemand anruft und fragt: »Schläfst du noch?«, wird man richtig wütend. Es würde doch auch kein Mensch einen bei Tage Arbeitenden um zwei Uhr nachts anrufen und ganz erstaunt fragen: »Schläfst du noch?« Das war einfach respektlos!
Es ist kein leichter Job, am Wochenende nachts Taxi zu fahren. Abgesehen von all den Reisenden, die mit der Nachtfähre ankommen, mit Gepäck, als wollten sie auf einer einsamen Insel überwintern, und die miteinander herumstreiten, wo die Taxischlange anfängt und wer zuerst am Schild war, gab es noch die Betrunkenen, die von der Kneipe nach Hause wollen und das Taxi vollkotzen, oder Frauen, die sich mit ihren Männern gezankt haben und jetzt die Nacht bei ihrer Schwester verbringen wollen und ihr Geld zu Hause vergessen haben. Wenn man tagsüber schläft, vermengen sich die Ereignisse der Nacht zu einem einzigen Brei.
Petter wachte davon auf, dass er fror. Als er die Decke über sich ziehen wollte, lag die auf dem Boden und war nass vor Schweiß. Draußen war es feucht und im Zimmer nicht besonders warm. Er würde doch nicht krank werden? Petter stützte sich auf und trank einen Schluck Wasser aus dem Glas, das immer auf dem Nachttisch stand. Es war lauwarm und schmeckte abgestanden, und es tat im Hals weh, wenn er schluckte. Das wäre wirklich Pech, wenn er jetzt krank werden würde. Dabei hatte er Sonja extra instruiert, wie sie die Brieftauben entgegennehmen und die Ringe in der Reihenfolge, in der sie vom Wettkampf nach Hause kamen, in die Uhr stecken sollte. Das war wirklich nicht ganz einfach gewesen, doch so hatte er eine zusätzliche Schicht Taxi fahren können. Das Geld sparten sie für eine Urlaubsreise im Herbst, wenn der Touristenstrom versiegte. Sonja wollte so gern nach China.
Petter ließ den Kopf auf das Kissen sinken und schloss die Augen. Die Ereignisse der Nacht kreisten immer noch in seinem Kopf herum. Wenn man eine Weile lang Taxi gefahren ist, dann erkennt man allmählich die Leute, die man öfter fährt. Der Taxifahrer wird dann oft zur Unperson, zum Beobachter. Sobald einer ins Taxi gestiegen ist und die Adresse genannt hat, gibt es den Fahrer nicht mehr.
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