Das Geheimnis der toten Vögel
Antwort ab, ehe er weiterredete. »Wir haben soeben die Resistenzbestimmung für Tamiflu erhalten, und das Präparat greift nicht bei diesem Stamm der Vogelgrippe. Aber es gibt ein wenig Hoffnung. Es sind Medikamente in der Entwicklung, vielleicht können einige davon schneller freigegeben werden als geplant, und im günstigsten Fall zeigt eines davon Wirkung. Wir arbeiten jede Minute daran, neue Medikamente zu bekommen. Momentan können wir nicht anders vorbeugen, als zu isolieren und die grundlegenden Hygienemaßnahmen durchzuführen. So schlimm ist es. Aber es ist immer noch besser als gar keine Behandlung.«
Jonatan begriff, dass er damit seine Loyalität zur Seuchenschutzärztin gebrochen hatte, aber es gab einfach eine Grenze, wo Gewissen und Anstand eine klare Rede erfordern. Maria Wern sagte lange Zeit nichts. Sie sah ihn an und empfand trotz der Sorge einen Anflug von Sympathie.
»Wie schlimm ist es um Emil bestellt? Ich will die Wahrheit wissen.«
»Er hat sehr leichte Symptome. Ich bin überzeugt davon, dass er gesund wird.« Jonatan schloss die Augen, als er das sagte, und hoffte, dass es die Wahrheit sein möge. Es schien momentan plausibel, aber die gefürchtete Lungenentzündung oder andere Komplikationen konnte man nicht voraussehen.
»Jetzt will ich Emil sehen.« Maria stand auf, und Jonatan zeigte ihr die Tür zu der Schleuse, durch die sie gehen musste.
»Ziehen Sie sich die Schutzkleidung, den Atemschutz und die Schutzbrille über. Wenn etwas unklar ist, können Sie über das Telefon mit Schwester Agneta sprechen. Wenn Sie fertig sind, gehen wir. Es fühlt sich blöd an, durch die Maske zu sprechen, aber Sie dürfen sie auf keinen Fall abnehmen, nicht einmal, wenn Sie Ihren Sohn umarmen. Das ist die Bedingung. Sonst müssen wir Sie hierbehalten.«
»Dagegen hätte ich nichts, wenn ich nicht noch ein kleines Mädchen zu Hause hätte. Ich hatte gehofft, Emils Vater würde mitkommen, aber er hat eine Krankenhausphobie. Sie würden nur eine Menge Schwierigkeiten mit ihm haben, deshalb ist es vielleicht besser, wenn er mit Emil nur am Telefon spricht.«
»Dann ist er jetzt bei Emils kleiner Schwester zu Hause?«
Maria schüttelte den Kopf und musste die Maske neu zurechtrücken. »Ganz so einfach ist es nicht. Wir leben nicht mehr zusammen. Aber wir arbeiten zum Wohl der Kinder zusammen. Es ist nicht gerade unkompliziert, aber wenn man sein Bestes gibt und noch etwas mehr, dann funktioniert es einigermaßen.«
»Manchmal denke ich, es ist erstaunlicher, dass die Leute es jahraus jahrein miteinander aushalten, als dass sie sich scheiden lassen«, sagte Jonatan. »Wenn wir an der nächsten Schleuse angekommen sind, müssen Sie noch einen Schutzmantel überziehen. Sie werden wie ein Astronaut aussehen, aber der Junge fängt schon an, sich daran zu gewöhnen.«
»Sind Sie auch geschieden? Hm, das ist vielleicht eine zu persönliche Frage?«
»Ich bin verheiratet, und zwischen uns herrscht die reinste Hölle.«
»Und Sie haben niemanden, mit dem Sie reden können, oder?«
Jonatan versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten, aber es war unmöglich zu sehen, ob sie unter der Maske lächelte.
»Stimmt. Jetzt gehen wir hinein.«
16
Åsa Gahnström kickte mit einem Schwung ihre hochhackigen Schuhe vom Fuß und direkt gegen die Wand. Ein Ereignis in der Mittagspause hatte sie zutiefst verstört, und danach war es ihr schwergefallen, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
Sie hatte vor den Fenstern des Galeriecafés Regenbogen gestanden und die Gemälde betrachtet, um sich von dem erniedrigenden Interview in der morgendlichen Nachrichtensendung zu erholen. Sie war nur einen kleinen Augenblick stehen geblieben, um ein paar tiefe Atemzüge zu holen und an etwas anderes zu denken als an die heraufziehende Katastrophe, da war plötzlich ein Mann direkt auf sie zugekommen und hatte sich so dicht neben sie gestellt, dass sie ihn nicht ignorieren konnte. Er hatte bedrohlich gewirkt. Sie konnte sich nicht entsinnen, ihm schon einmal begegnet zu sein. Es war jedoch anzunehmen, dass er sie von den Fernsehsendungen der letzten Tage her erkannte.
»Meine Frau Jenny. Sie haben sie nach Follingbo gebracht. Was zum Teufel machen Sie denn da? Die Leute sterben wie die Fliegen. Ich werde mich bei der Sozialverwaltung beschweren. Wie zynisch darf man sein, wenn es darum geht, der Kommune Geld zu sparen? Sie spielen mit Menschenleben. Ich
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