Das Geheimnis der toten Vögel
Die Gewerkschaft und der Ombudsmann für Arbeitsschutz waren einbezogen worden, und die Verhandlungen würden kommende Woche beginnen. Konnte man jemanden zwingen, seine Gesundheit und vielleicht sein Leben aufs Spiel zu setzen? Man hatte schließlich mit der Einsatzmannschaft der Infektionsklinik in Linköping Kontakt aufgenommen. Die müsste inzwischen in der Jungmansgatan eingetroffen sein, und man durfte jeden Moment mit einer Nachricht von ihnen rechnen. Åsa Gahnström hoffte, dass die Frau in einem so guten Zustand war, dass sie noch sagen konnte, wen sie seit Samstag getroffen hatte. Der ganze Plan zur Eingrenzung der Infizierung hing jetzt daran.
Åsa bedankte sich für die Tasse Kaffee, die ihr eine wohlmeinende Krankenschwester zusammen mit einem Teller, auf dem ein Käsebrot und ein paar Kekse lagen, auf den Tisch stellte. Der schöne Meeresblick aus dem Fenster der Infektionsstation wurde von den Baugerüsten verdeckt, die die Rezeption in einen immerwährenden Schatten hüllten. Wenn man sich ans Fenster stellte, konnte man einen schmalen Streifen des Strandgärdet erkennen, wo bald das Turnierspiel im Rahmen der Mittelalterwoche abgehalten werden würde. Aber Åsa Gahnström stand nicht auf, ihre gesamte Konzentration richtete sich auf das Telefon, das jeden Moment klingeln konnte. Der Schlafmangel ließ die Augen brennen und kroch in den ganzen Körper.
Es gab eine vage Hoffnung: ein antivirales Medikament, Tamivir, das offensichtlich von einem chinesischen Betrieb verbotenerweise kopiert worden war, ehe es für den Markt zugelassen worden war. Die Hölle wäre los, wenn publik würde, dass die Gesundheits-und Krankenpflegeverwaltung Raubkopien von Medikamenten gekauft hatte, doch es ging schließlich um Menschenleben.
Åsa Gahnström nahm den Hörer beim ersten Klingeln ab. Es war Tomas Hartman von der Polizei. Keiner der Nachbarn in der Jungmansgatan hatte Malin Berg seit Samstagabend außerhalb ihrer Wohnung gesehen. Am Sonntagnachmittag hatte jemand sie duschen hören, doch dann war es still gewesen. Åsa dankte und wartete weitere Informationen von der Einsatztruppe ab. Der Gedanke an Jenny Eklund trieb sie um – der Mann auf der Adelsgatan hatte geschrien, dass er zwei kleine Jungen zu Hause habe. Schwester Agneta hatte drei Kinder, die elternlos wären, wenn … In diesem Moment kam die Nachricht aus der Jungmansgatan.
»Malin Berg ist tot. Wir nehmen sie mit in die Pathologie. Keine Spuren äußerer Gewalt. Sie hat sich in einen Eimer neben dem Bett erbrochen. Der Körper ist aufgebläht. Die Nachbarn glauben, dass sie die Wohnung das ganze Wochenende über nicht verlassen hat. Das wäre in diesem Fall fast zu schön, um wahr zu sein. Die Leute, die in den Wohnungen direkt nebenan wohnen, haben Angst, dass die Viren sich über das Ventilationssystem verbreitet haben könnten, und wollen untersucht und mit Medikamenten versorgt werden. Was sollen wir tun?«
»Nehmen Sie ihnen Blutproben ab und bitten Sie sie, ihren Umgang mit anderen zu begrenzen und sich im Haus zu halten, bis sie eine Antwort erhalten haben. Ich sorge für Krankschreibungen. Mit der Gabe von Medikamenten warten wir, bis wir wissen, ob jemand infiziert ist.«
»Ist das denn klug? Sollte man in dieser Situation nicht mit Medikamenten großzügig sein?«
»Ja, das sollte man, wenn man es sich leisten könnte. Wir haben nicht genug Medikamente für eine prophylaktische Behandlung, und wenn wir in einem einzigen Fall damit beginnen, dann haben wir gleich den ganzen Wahnsinnkreislauf in Gang gesetzt, wer zuerst an der Reihe sein sollte. Und dann habe ich eine Patientin, von der ich möchte, dass Sie sie mit nach Linköping nehmen, eine junge Frau, Fußballtrainerin. Es geht ihr sehr schlecht, und ich bin nicht sicher, ob wir sie hier durchbringen können. Es ist schwer, weitere Beatmungsgeräte zu kriegen, und die Intensivstation in Follingbo ist voll belegt.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, war Åsa erleichtert und fast euphorisch darüber, dass Malin Berg gestorben war, ehe sie einem einzigen Menschen begegnet war. Unter normalen Umständen wäre dieser Gedanke unanständig, das war ihr im selben Moment klar, doch in dieser Situation war es besser, wenn ein Mensch tot war, als wenn Hunderte angesteckt waren.
17
Wohnwagenbesitzer Hans Moberg erwachte mit einem Kater, er musste aufs Klo und hatte ein undefinierbares Angstgefühl. Durst hatte er auch. Mit der Hand auf der letzten
Weitere Kostenlose Bücher