Das Geheimnis der toten Vögel
wir eine Albtraumsituation, wie sie sich keiner von uns vorstellen kann.«
»Haben wir die nicht jetzt schon? Ja, ich hatte schon den Verdacht, dass die Medikamente vielleicht nicht helfen. Sie haben den Verlauf bei keinem der Patienten, die ich behandelt habe, gebremst, außer vielleicht bei dem Taxifahrer. Früher oder später wird das hier an die Öffentlichkeit dringen, und dann haben wir unser Vertrauen verspielt. Ich finde, wir sollten die Wahrheit sagen.«
»Mein Beschluss lautet, dass wir schweigen. Wenn Sie nur ein klein wenig Phantasie haben, dann können Sie sich die Panik vorstellen, die ein solcher Bescheid auslösen würde und welche Konsequenzen das hätte. Aber es gibt noch Hoffnung. Einige Pharmaproduzenten sind in ihrer Produktentwicklung antiviraler Mittel weit gediehen. Wir sind dabei zu untersuchen, ob es andere wirkungsvollere Präparate gibt. Bis dahin müssen wir versuchen durchzuhalten.«
Jonatan sah zu Schwester Agneta, die neben ihm gestanden und das ganze Gespräch mitgehört hatte. »Können Sie überhaupt arbeiten?«, fragte er.
»Es gibt sonst niemanden. Die Leute haben Angst hierherzukommen. Drei andere Kollegen haben sich krankschreiben lassen, um nicht kommen zu müssen. Sie wollen nicht angesteckt werden. Psychische Insuffizienz steht auf Karins Krankschreibung. Sie hat zu ihrem Arzt gesagt, dass sie es nicht aushalten würde, noch mehr Tod und Krankheit zu sehen, das sei zu stressig, und sie bräuchte Ruhe. Moa hat nicht einmal eine Krankschreibung. Ihr Mann hat ihr verboten hierherzukommen. Er verdient für zwei. Aber die Möglichkeit habe ich nicht.«
»Was sagen Sie da? Es kommt niemand, um sie abzulösen?«
»Nein, sie weigern sich herzukommen.«
Auf der anderen Seite der Plexiglaswände, die man eilig im Eingangsbereich als Trennung errichtet hatte, saß Maria Wern, die Mutter von Emil. Ihre Stimme kam Jonatan irgendwie bekannt vor, als er sie mit der Krankenschwester über die Telefonanlage sprechen hörte.
»Gibt es einen anderen Arzt als Herrn Dr. Eriksson? Ich habe kürzlich schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht.« Was für ein unglaublich schlechter Ausgangspunkt für ein schwieriges Gespräch.
Plötzlich wurde ihm klar, dass sie es gewesen musste, die angerufen hatte, als er dachte, es sei Nina. Verdammt! Warum konnte das Leben nicht mal gerecht und einfach sein, nur mal kurz, damit man Luft holen konnte.
Jonatan nahm den Hörer und stellte sich vor. »Ich muss mich entschuldigen, und ich hoffe, dass Sie das akzeptieren können. Es tut mir wirklich leid, wenn Sie es waren, die ich gestern Abend spät am Telefon abgebügelt habe. Ich dachte, Sie seien jemand anders.«
»Ihre Frau?«, fragte sie ohne Umschweife, und er konnte den Anflug eines Lächelns erahnen. »Ein netter Gutenachtgruß.«
»Ja, meine Frau.« Es gab keine Chance, sich herauszureden. Keine Zeit, um eine annehmbare Notlüge zu finden. »Wir hatten eine kleine, hm, Kontroverse.«
»Da bin ich ja froh, dass ich noch nie in die Schusslinie gekommen bin, wenn es richtig zur Sache geht. Wie geht es Emil?«
»Wie Sie wissen, ist er infiziert. Er trägt das Virus in sich, wird aber durch die Behandlung mit dem Medikament, das wirksam gegen Viren ist, nur eine milde Grippe bekommen.«
»Tamiflu«, warf sie ein.
»Genau. Momentan hat er etwas Fieber und Halsweh. Als ich ihn vorhin gesehen habe, saß er am Computer und legte eine Patience. Worüber wollten Sie mit mir sprechen, als Sie gestern Abend anriefen?« Jonatan merkte, wie er rot wurde. Die Sache war ihm nach wie vor peinlich. Er konnte sich nicht einmal richtig erinnern, was er gesagt hatte.
»Ich habe gestern Abend Åsa Gahnström gehört, und ich hatte plötzlich das Gefühl, dass sie nicht die ganze Wahrheit sagt. Was ich fragen möchte, ist: Gibt es genug Tamiflu, dass es für alle reicht? Wie schlimm ist die Sache eigentlich? Woher weiß ich, ob er Medizin bekommt, und woher weiß ich, ob sie überhaupt wirkt? Ich meine, wenn die Medikamente etwas nützen, warum redet man dann in jeder Nachrichtensendung davon, wie viele Menschen schon gestorben sind? Es scheint fast die Hälfte der Infizierten zu sein. Antworten Sie mir. Was können Sie für mein Kind tun? Ich habe das Recht, das zu erfahren!« Sie hielt seinen Blick hinter der Plexiglasscheibe fest, und es gab keine Möglichkeit zu entkommen.
»Kann das unter uns bleiben?«, fragte er und wartete ihre
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