Das Geheimnis der toten Voegel
dem Schnurrbart und setzte sich den weißen Cowboyhut auf. Justierte die Krempe, ein wenig schräg über dem einen Auge sollte sie sitzen. Halunken haben schwarze Hüte, Helden weiße, das wusste jedes Kind. Vielleicht war er zu nett, zu wohlwollend in der Interpretation von »ein paar Kilo zu viel« und »momentan ein paar finanzielle Probleme«. Ganz zu schweigen von »eifersüchtigen Ehemännern«, was die reinste Hölle sein konnte. Das wusste er aus Erfahrung. Und doch war das hier sein Leben. Mit seinem Wohnwagen herumzufahren, der zugleich auch sein Liebesnest war, und Frauen zu treffen, wo man wollte, wann man wollte und wie lange man wollte. Kein Boss. Keine Alte. Keine Termine, an die man sich halten musste, außer denen, die man selbst ausgemacht hatte, und das auch nur, wenn die Lust im richtigen Moment vorhanden war. Ansonsten konnte man seine Hotmailadresse ändern, eine andere Identität im Internetforum erfinden und zu neuen Abenteuern aufbrechen.
Ein Teil der Verlockung lag tatsächlich darin, jedes Mal eine neue Rolle spielen zu können – Besitzer einer Kunstgalerie in Paris, Projektleiter in der Baubranche an der Riviera, Polizist im Nachrichtendienst, Einsatzleiter bei der Feuerwehr oder Großwildjäger in Gambia. Alles, wovon man als Junge geträumt hatte, woraus aber nie etwas geworden war und was auch gar nichts werden musste, denn man konnte es doch in der Phantasie erleben, ohne sich die Hände schmutzig machen oder sich körperlichen Gefahren aussetzen zu müssen. Entscheidend war, wie die anderen einen sahen, ob sie an das Erscheinungsbild glaubten.
Und dann der Kick selbst, wenn man seine Rolle eingeübt, eine passende Gegenspielerin im Netz gefunden hatte und sich dann in der Wirklichkeit traf. Gegen alle Arten von Frauen spielen zu dürfen und für die passionierteren Szenen die besten auszuwählen … Natürlich nicht alle. Für diejenigen, die schon in ihrem Text Keuschheit und Treue auslobten, hatte er nicht viel übrig. Das wurde zu kompliziert. Auch wenn es schon passiert war, dass er eine Woche lang von Kartoffelwasser, Keimen und Sesamkörnern gelebt hatte, weil die derzeitige Frau in seinem Leben Veganerin gewesen war. Er hatte nicht einmal seinen Ledergürtel behalten dürfen, aber in der Woche hatte das gerade mal nichts ausgemacht. Die Räucherstäbchen waren schlimmer gewesen. Ein Wohnwagen verträgt nicht viel von solchen Sachen, und es stach den Geruch seines eigenen Pfeifentabaks aus. Aus seiner eigenen Höhle ausgeräuchert, fühlte er sich heimatlos. Als sie dann noch verlangte, dass er die Nesseln aß, die sie hinter dem Herrenklo auf dem Campingplatz von Västervik gepflückt hatte, war das Maß voll. Da endete die Grenze des Akzeptablen.
Nein, vielleicht sollte ich den Anker lichten und an einen schickeren Ort weiterziehen, dachte Mubbe. In der letzten Nacht hatte er sein Liebesnest in einem Industriegebiet östlich der Stadt geparkt. Wer die unnötige Ausgabe für Strom auf einem Campingplatz sparen will, für den ist die Steckdose an einem Fabrikgebäude eine bedenkenswerte Alternative, ebenso wie man in dicht besiedelten Gegenden schon mal den ungeschützten Internetzugang von jemand anders mitbenutzen konnte. Eine Krone gespart war eine Krone gespart. Man musste nur aufpassen, dass einem die Stacheldrahtzäune nicht die Hose zerrissen, wenn man über den Zaun kletterte.
Tofta Camping hieß das Strandstück, das er auf der Karte eingekringelt hatte. Dort konnte er duschen und sich vor dem abendlichen Treffen mit »Kuschelmaus aus Skåne« schick machen, doch vorher musste er noch ein paar Geschäfte erledigen. Diskrete Lieferungen. Bargeld im Austausch gegen Liebesglück und neues Selbstvertrauen. Es wunderte ihn oft, dass nicht mehr Leute in seiner Branche reisten. Freiheit, schnelles Geld und dankbare Kunden. Es war vollkommen ungefährlich, Medikamente über das Netz zu kaufen oder zu verkaufen, und ebenso risikolos, sie direkt auf der Straße wieder loszuwerden. Immer wieder waren solche Dinge vor Gericht gekommen, jedoch ohne Ergebnis. Hans Moberg hatte die Entwicklung der Ereignisse in der Presse aufmerksam verfolgt. Da hatten sich die gesetzgebenden Behörden wirklich selbst in den Schwanz gebissen. Der vierte Paragraph im Gesetz über den Handel mit Medikamenten verweist nämlich auf die Medikamentenverordnung von 1962, die 1993 aufgehoben wurde. Kein Gericht in der ganzen Welt kann einen nach einem Gesetz verurteilen, das nicht mehr existiert.
Hans
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