Das Geheimnis der toten Voegel
erkranken, als auch für die Patienten, die schon in den Krankenhäusern sind. Die Kinder erhalten die denkbar beste Pflege.«
»Warum kann nicht die ganze Familie die Medikamente bekommen? Warum kann man nicht an die ganze Bevölkerung von Gotland Medizin austeilen?«, fuhr die Frau fort, die die Rolle der Elternsprecherin übernommen hatte, ohne eigentlich ein Mandat von jemandem zu erhalten zu haben.
Åsa Gahnström erwog einen Augenblick lang, die Wahrheit zu sagen: Wir haben nicht ausreichend wirkungsvolle Medikamente, als dass es für alle reichen würde. Doch dann nahm sie davon Abstand, weil ein solcher Satz zum Chaos führen würde. »Dann würden wir mit Sicherheit mehr Fälle von Ansteckung bekommen, und zwar mehr, als wir pflegen können. Und wenn viele Menschen das Medikament über eine längere Zeit nehmen, dann besteht die Gefahr, dass es bald nicht mehr wirkt. Wir hoffen, dass wir innerhalb einer Woche die Personen, die wir unter Beobachtung haben, für gesund erklären und die Gefahr als gebannt betrachten können.« Außerdem hatte Tamiflu wie die meisten Medikamente Nebenwirkungen, doch auf die wollte sie lieber nicht eingehen.
»Das heißt, wir dürfen unsere Kinder eine Woche lang nicht sehen?«, rief eine wohlbekannte Stimme ganz hinten im Saal, und Maria drehte sich um. Es war Krister. Sie mussten sich verpasst haben, als sie hineingingen. »Ich bin nämlich nächste Woche dran, mich um den Jungen zu kümmern, und ich wollte mit ihm auf die Gotska Sandön fahren. Das ist doch nicht zu fassen! Da hat man eine furchtbare Scheidung durchlebt und darf seinen Sohn nur jedes zweite Wochenende und ein paar kurze Ferienwochen lang sehen, und dann klappt es wieder nicht. Es ist schon schlimm genug, so einen Konflikt durchzustehen, da braucht man keine zusätzlichen Quälereien!«
Maria spürte, wie sie glühend rot wurde und die Röte sich über den Hals ausbreitete. Musste er unbedingt vor Menschen, die nicht das Geringste damit zu tun hatten, über ihre Scheidung reden? Die meisten Regelungen hatten sie gemeinsam beschlossen. Wie typisch für Krister, jetzt so dramatisch zu werden. Warum konnte er nicht einfach ruhig bleiben, wie ein ganz normaler Mensch? Hatte er sich schon immer so benommen? So distanzlos und rücksichtslos? Jetzt wünschte sie ihn ans Ende der Welt.
»Ich möchte, dass wir genau das hier und jetzt besprechen.« Åsa Gahnström wagte ein kleines Lächeln. »Ich werde dafür sorgen, dass jedes Kind ein Handy bekommt, oder wäre es besser, wenn Sie per E-Mail kommunizieren könnten? Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass die Kinder in ihren Zimmern bleiben und einen Atemschutz anlegen, wenn es erforderlich ist. Das ist keine einfache Aufgabe, aber ich denke, dass wir es gemeinsam schaffen werden.«
Maria Wern konnte sehen, wie die Seuchenschutzärztin ausatmete. Ein gut durchdachter Einstieg. Jetzt hatte sie Boden unter den Füßen gewonnen, und die Eltern konnten in einer Frage von untergeordneter Bedeutung, nämlich dem Telefon- und E-Mailkontakt, mitentscheiden. Diese Frau wusste, was sie tat. Eine Strategin bis in die Haarspitzen. Bald würden sie über Telefone oder Computer diskutieren können, aber erst gab es andere Sachen, die vordringlicher waren.
»Wenn es nun Infizierte gibt, von denen wir nichts wissen? Sollte man nicht allen auf der Insel vorbeugend Tamiflu geben?« Dieses Hirngespinst hatte Maria während ihrer schlaflosen Nacht beschäftigt. Wenn es nun Fälle gab, die noch nicht entdeckt waren?
»Wir achten weiter darauf. Man sollte aber wirklich nur Medikamente geben, wenn es notwendig ist, und deshalb bin ich der Meinung, dass nur diejenigen, die in Kontakt mit Infizierten waren, derzeit Tamiflu bekommen sollen. Wenn die Ansteckung außer Kontrolle gerät, kann dieser Beschluss immer noch geändert werden. Aber eins ist sicher: Wenn es eine Ansteckung außerhalb der Absperrung gibt, dann sind Ihre Kinder in bester Weise geschützt.« Eine kleine Zornesfalte tauchte an der Nasenwurzel der Seuchenschutzärztin auf. Diese Frage war ihr unangenehm gewesen. Maria Wern nahm an, dass es etwas gab, das sie ihnen nicht erzählen wollte, etwas, das nicht in Ordnung war. Aber die Situation war nicht geeignet für allzu provozierende Fragen. Vielleicht sollte sie besser mit Jonatan Eriksson an der Hotline über die Sache sprechen, anstatt beim Elterntreffen den Volkszorn auszulösen.
Als das Treffen zwei Stunden später beendet war, wollte Maria schnell nach Hause
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