0231 - Der Tod spielt auf im Treppenhaus
Es erhält das Licht durch Glasfenster im Dach des Hauses. Auf jeder Etage verlaufen lange Holzpodeste, die man entlanggehen muß, bevor man die Treppe zur nächsten Etage erreicht. Von diesen Podesten führen Türen zu den Wohnungen.
Alles, was im Parterre des Treppenhauses geschieht, kann von sämtlichen Bewohnern des Hauses gesehen werden. Sie brauchen nur ihre Wohnungstüren zu öffnen und sich über die Holzgitter der Podeste zu beugen. Und so war es klar, daß viele Bewohner des Hauses Desbrosses Street 162 gesehen haben mußten, wie an einem Morgen der G-man Antonio Alrosso im Flur erschossen wurde.
Aber niemand wollte es gesehen haben, denn nicht nur in der Desbrosses Street, sondern im ganzen Viertel regierte der Terror.
***
Die Beerdigung des FBI-Beamten Antonio Alrosso fand auf dem St-Pauls-Friedhof statt. Unser Chef, John D. High, stand am Grab, und auch wir, Phil und ich, gaben unserem jungen Kollegen das letzte Geleit. Es war eine dieser würdigen Feiern, die wir alle leider mehr als einmal erlebt hatten.
Mr. High war der Letzte, der das Grab verließ. Phil und ich warteten am Ausgang des Friedhofes.
Es dauerte lange, bis Mr. High sprach: »Er stand erst seit sechs Monaten im aktiven FBI-Einsatz!«
Bevor Mr. High in die schwere Limousine stieg, die ihn zurück zum FBI-Distriktgebäude brachte, wandte er sich an uns: »Wir treffen uns nachher in meinem Büro.«
Phil und ich gingen zum Jaguar.
Wir hatten Antonio Alrosso beide gut gekannt. Als er von der FBI-Schule zum New Yorker Distrikt versetzt wurde, hatte er abwechselnd Phil und mich für drei Monate begleitet, um unter unserer Führung den ersten Kontakt mit der praktischen Arbeit zu bekommen. Ich erinnerte mich an ihn als einen immer gut gelaunten Jungen von südländischem Aussehen.
Nach den drei Monaten mit uns bekam er seine erste selbstständige Aufgabe. Er löste sie glatt und geschickt, qualifizierte sich damit für einen ernsten Job. Unser Chef schickte ihn in die Desbrosses Street, und dort starb er an einem Vormittag im Kugelhagel der Gangster-Pistolen.
Der Chef saß bereits hinter dem Schreibtisch, als wir sein Office betraten. Nachdem wir Platz genommen hatten, öffnete Mr. High einen Aktenordner, der vor ihm auf dem Tisch lag.
»Die Nachforschungen im Fall Alrosso hat Allan Grost geführt. Grost teilt mir in seinem ersten Bericht mit, dass ohne Zweifel eine große Anzahl der Bewohner des Hauses Desbrosses Street 162 Augenzeugen des Mordes gewesen sind. Es besteht die Gewissheit, dass dem Mord eine Auseinandersetzung zwischen Antonio und seinen Mördern vorausging. Der Streit muss laut genug gewesein sein, um die Bewohner vor die Türen zu locken. Bei der Art des Treppenhauses kann von jeder Etage aus der Schauplatz der Tat gesehen werden. Alle Leute, die Grost vernahm, behaupten nun, die Mörder nicht gesehen zu haben.«
Der Chef klappte den Aktenordner zu, hob den Kopf und sah uns an.
»Es ist ganz klar, dass diese Aussagen, zumindest teilweise, nicht den Tatsachen entsprechen. Die Leute schweigen aus Furcht, denn Alrossos Mörder war niemand anderes als Juan Rallaro mit seiner Bande.«
»Daran zweifelt niemand von uns, Chef«, sagte ich. »Hat Grost mit Rallaro gesprochen?«
»Ja, denn Rallaro hat nicht den geringsten Versuch unternommen, sich den Behörden zu entziehen. Er ließ sich grinsend von Grost abführen, nannte während der Vernehmung ein halbes Dutzend Namen von Leuten, die sein Alibi bestätigten, und musste nach vierundzwanzig Stunden entlassen werden. Es ist selbstverständlich, dass die Untersuchungen fortgesetzt werden. Aber es steht heute schon fest, dass die Nachforschungen der offiziellen Kommission keinen Erfolg haben werden. Rallaro und seine Bande beherrschen das ganze Viertel. Niemand wird wagen, gegen ihn als Zeuge aufzutreten. Es war Antonios Aufgabe, Beweise gegen Juan Rallaro zu sammeln. Er hat mit seinem Leben bezahlen müssen, bevor er die Aufgabe lösen konnte. Ich werde andere FBI-Agents mit der gleichen Aufgabe betrauen.«
Phil und ich sahen uns an. Mr. High bemerkte den Blick. Ein schwaches Lächeln stahl sich in seine Mundwinkel, verschwand aber sofort, als er sagte: »Nein, Sie habe ich nicht dafür vorgesehen. In der Desbrosses Street sind Männer mit Ihrem Aussehen nicht zu gebrauchen. Wer dort nicht so aussieht, dass er für einen Puerto Ricaner gehalten wird, hat keine Chance.«
Ich überlegte einen Augenblick und fragte dann: »Antonio arbeitete getarnt in der Desbrosses
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