Das Geheimnis der Totenkiste
wissen ja, wie lange so was dauern kann.«
Eli nickte mitfühlend. Er erwähnte nicht, daß er Beziehungen hatte, die den Prozeß möglicherweise beschleunigen konnten.
»Noch einmal besten Dank, Kapitän Macneil…«
Als er mit Hugo zurückging, blieb er neben der Grijt Henryk stehen. Er konzentrierte sein ganzes Bewußtsein auf dieses mysteriöse Schiff. Nun vermochte er ohne allen Zweifel die Aura des Bösen zu verspüren, die davon ausging. Es war ihm fast, als fühlte er die Anwesenheit der Schattenweltkreatur, die sich dort befinden mußte.
»Es ist ein Vampir, Hugo«, erklärte er ernst. »Daran besteht kein Zweifel.«
Der riesige Franzose bekreuzigte sich.
6.
Dieser Tag brachte Eli nicht den erwünschten Erfolg. Er hatte zwar genügend Bekannte in hohen Ämtern, die in der Lage wären, ihm die Möglichkeit zu verschaffen, den Laderaum der Grijt Henryk zu durchsuchen, um den Vampir zu finden und unschädlich zu machen, aber in keinem der Ämter hatte er Glück. Er wurde respektvoll empfangen, doch überall mußte man ihm bedauernd erklären, daß gerade der zuständige Mann abwesend war. Kein einziger, der ihm hätte helfen können, befand sich in seinem Amt. Einer nahm an einer Konferenz teil, der andere war krank, der dritte auf Hochzeitsreise und ein vierter machte Urlaub.
Wütend – soweit seine Veranlagung und Beherrschung das überhaupt zuließen – kehrte Eli in sein Haus am Russell Square zurück. Seine Durchsuchung des Schiffs, die Vernichtung des Vampirs, das alles mußte leider bis morgen warten.
Aber die Zeit sollte nicht ganz verloren sein. Es war ratsam, einige Vorbereitungen zu treffen. Kräuter, Wurzeln und Pulver waren zu mischen, besondere Amulette sollten hergestellt werden – einige zum Schutz, andere zur Zerstörung des grauenvollen Gegners, dem er bald gegenüberstehen würde.
»Wir können dem Glück danken, mon vieux « , wandte Eli sich an Hugo, »daß das Schiff im Fluß verankert ist. Das Fallreep überquert fließendes Wasser.«
Der Riese aus der Camargue nickte verständnisvoll. Wie sein Herr wußte er. daß nur wenige Schattenweltkreaturen fließendes Wasser über- oder durchqueren konnten. Selbst jene, die es vermochten, sind dabei beträchtlichen Schmerzen ausgesetzt und müssen mit dauerhaften Schäden an ihrer Substanz rechnen.
Doch trotz seiner Worte verspürte Eli eine immer stärker werdende Unruhe.
Und sie war leider durchaus berechtigt.
Kurz vor Einbruch der Nacht schleppte ein Kahn nämlich die Grijt Henryk von ihrem Anlegeplatz am Fluß und brachte sie ins Dock, dessen Tore sich hinter ihr schlossen.
Nun lag der Holländer nicht mehr in fließendem Wasser.
Und die ahnungslose Stadt war nicht länger durch diese Barriere vor dem schrecklichsten Eindringling geschützt, der je ihren Boden betreten hatte.
Im Dunkel des Laderaums begann sich etwas zu rühren. Es waren nicht die leise huschenden Ratten, die sich plötzlich ängstlich und am ganzen Leibe zitternd in ihren Löchern und Verstecken verbargen – aus einer Furcht heraus, die sie nicht verstanden.
Nein, es waren die bedächtigen, durchaus bewußten Bewegungen eines Wesens, das sich nach langem Schlaf reckte und streckte. Knarren alten Holzes war zu vernehmen, das jedoch nicht Teil des Gebälks war.
Hätte ein Mensch sich dort aufgehalten, er wäre erschrocken über die Grabeskälte, die plötzlich im Frachtraum herrschte – und vielleicht mehr noch über den abscheulichen modrigen Gestank.
Er hätte auch das schwache Lachen gehört, das nichts mit Humor zu tun hatte.
Nicht allzuweit davon entfernt verließ Kapitän Macneil gerade sein Schiff mit einem Päckchen unter dem Arm. Es enthielt Mitbringsel für seine Frau und Tochter. Er malte sich aus, wie sie sich über die Geschenke freuen würden. Es war das erstemal, daß sie die weite Reise von Schottland hierher machten, um ein paar Tage mit ihm zu verbringen, ehe er wieder auf längere Fahrt gehen mußte. Leider hatte die Zeit gefehlt, ihnen Passierscheine für das Dock zu besorgen. Aber was machte es aus? Sie würden sich eben am Tor des Docks treffen und dann ein Hotel suchen.
Diese Gedanken beflügelten seine Schritte, als er die Gangway hinunterging. Er winkte Jorkens, seinem Ersten, noch kurz zu. Der Steuermann blickte ihm ein wenig neiderfüllt nach, denn eigentlich hatte auch er Pläne für den Abend gemacht. Er ist zu beneiden mit seiner Frau und Tochter, und jetzt noch das Bergungsgeld, dachte er. Aber diese Gedanken sollten bis
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