Das Geheimnis der Totenkiste
zum Morgen längst vergessen sein.
Macneil stapfte vor sich hin pfeifend auf das Dock zu Morag, dachte er, würde der Seidenschal bestimmt gefallen, den er ihr aus Indien mitgebracht hatte – aber war es auch wirklich die richtige Farbe? Sie hatte zwar Grün immer gemocht, doch seit seinem Erlebnis mit dem Holländer quälte ihn der Aberglaube – und grün brachte Unglück, oder hieß es nicht so? Und die Halskette, die er in Boston für Maggie erstanden hatte – Wampum, hatte der Verkäufer sie genannt, weil die Indianer früher solche Perlen als Zahlungsmittel verwendet hatten. Maggie hatte sich ja immer für den Wilden Westen interessiert, für die Cowboys und Indianer…
Es wird schön sein, sie wiederzusehen, an seine Brust zu drücken, und sich an dem zu erfreuen, was er insgeheim ,das Glück des Ehelebens’ nannte…
In der Frühe würde er ihnen dann die Passierscheine besorgen und sie mit an Bord nehmen, damit sie all die anderen hübschen Sachen bewundern konnten, die er für sie mitgebracht hatte. Wenn er daran gedacht hätte, hätte er leicht seiner Schiffahrtsgesellschaft telegrafieren können, daß sie sich um die Scheine kümmerten. Der Holländer hatte ihn eben doch mehr durcheinandergebracht, als er sich eingestehen wollte.
Er war inzwischen auf gleicher Höhe mit der Grijt Henryk und empfand eine fast physische Kälte beim Anblick des Unglücksschiffs.
Er wünschte fast, er hätte sie nie gesichtet oder wäre zumindest weitergefahren. Aber andererseits brachte sie ihm ja auch einen ganz schönen Batzen Geld…
Morag konnte endlich ein eigenes Haus bekommen, wie sie es sich schon immer gewünscht hatte, und natürlich auch alles, was dazugehörte. Sie würde nicht mehr jeden Pfennig umdrehen müssen, um mit der kärglichen Heuer eines Kapitäns auszukommen. Na ja, das war natürlich übertrieben. So schlecht hatte er gar nicht verdient – es hatte ihm freigestanden, was an Laderaum übrigblieb, nachdem die Fracht der Gesellschaft verstaut war, nach eigenem Ermessen und auf eigenen Profit auszunutzen. Macneil hatte auf diese Weise recht gute Geschäfte gemacht, und Morag und Maggie hatten nie auch nur im entferntesten am Hungertuch genagt. Na und jetzt würden sie sogar regelrecht wohlhabend werden.
Trotzdem empfand er nicht gerade angenehme Gefühle für die Grijt Henryk. Immer wenn er an sie dachte, schoben sich die Gesichter Higgins’, Johansens und Mortons vor sein geistiges Auge, und er spürte, daß das Schiff nur Unglück und Tod bringen konnte.
Er spuckte in weitem Bogen aus und sah, womit er schon vorher gerechnet hatte, dünne Nebelschwaden aus dem öligen stillen Wasser des Docks aufsteigen.
Es würde nicht lange dauern, bis London unter einer Nebeldecke lag.
Er schüttelte sich ein wenig, denn alle Seeleute haßten den Nebel, den schweigenden, unerbittlichen Feind der Schiffe.
In Gedanken verloren stapfte Kapitän Macneil weiter.
Den ganzen Abend verspürte Eli eine wachsende Unruhe in sich – das Gefühl eines bevorstehenden Unglücks –, ein Gefühl, das er erfahrungsgemäß nicht ignorieren durfte.
Seine Vorbereitungen waren abgeschlossen, und eigentlich gab es nichts mehr, das er vor dem Morgen tun konnte, wenn er hoffentlich einige Bekannte erreichen würde, die ihm zu einer Durchsuchungsgenehmigung für die Grijt Henryk verhelfen konnten. Und doch…
Eine Voodoomaske aus Haiti starrte aus leeren Augenhöhlen auf ihn herab. Sie war einmal ein Ding des Bösen gewesen, aber Elis Riten hatten dieses Böse bezwungen, und nun war sie ein Andenken -eine Erinnerung an einen Fall, als er seine Kräfte gegen die Schattenwelt eingesetzt – und gewonnen hatte. Die Unruhe in ihm wurde immer stärker. Er verstand das nicht so recht. Die Barriere des fließenden Wassers müßte doch genügen, den Vampir an Bord zu halten. Und doch…
»Was spürst du, Mara?« fragte er, obwohl er allein in seinem Arbeitszimmer saß.
»Das gleiche wie du«, kam sofort die Antwort des Mädchens, das sich in einem Raum des oberen Stockwerks aufhielt. »Ich habe das Gefühl, daß eine Kreatur der Schattenwelt sich irgendwo in der Nähe bewegt. Was es ist, weiß ich nicht, auch nicht wo. Es sind so viele Fremdeinflüsse in der Stadt…«
Wenn Millionen Menschen sich an einem Ort befinden, selbst wenn er so groß ist wie London, fällt es sogar dem erfahrensten Telepathen schwer, die Eindrücke genau zu definieren, die er empfängt.
Und Mara, das Mädchen, das durch Elis Überfall in jener
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