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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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keine schwarze Scheibe. Er leuchtete wie ein fahles Gesicht inmitten eines Heiligenscheins.
    Leo sah zum Himmel empor. »Ich hätte nicht gedacht, dass der Mond um diese Tageszeit so hell sein kann.«
    »Das liegt am Kometen. Die Sonne strahlt ihn von hinten an und sein Widerschein trifft auf die Mondoberfläche. Wenn die drei Himmelskörper von uns aus gesehen in einer Linie stehen, wird sich das ändern.«
    »Und das ist dann die Doppelfinsternis«, sagte Orla.
    »Sozusagen.«
    »Wie lange wird sie dauern?«
    »Die Ringphase drei Minuten und neunundzwanzig Sekunden, die Konjunktion aller vier Gestirne – die Erde mitgerechnet – nur wenige Augenblicke.«
    Leo hielt den Atem an, als der Schweifstern sich vor den Mond schob, dessen Feuerkranz dadurch verschwamm und waberte wie die Luft über einer Kerzenflamme.
    »Irgendwie gruselig«, raunte Orla.
    Er wandte den Blick nach unten. Die unheimliche Stille im Kraterrund ließ ihn frösteln. Noch regte sich nichts im Kessel. Hatten sie doch die falsche Stelle …?
    Plötzlich sah er rechts von sich eine Bewegung im Gras. Er zupfte Orla am Ärmel und deutete zu der Steinfigur.
    »Es beginnt«, flüsterte sie. »Der Bann fällt von ihnen ab.«
    Leo hatte viel darüber nachgedacht, wie aus einem so klobigen
Moai ein lebendiger Mensch werden konnte. Was sich nun vor seinen Augen abspielte, stellte alle seine Vorstellungen in den Schatten. Auf der kolossalen Statue bildete sich ein Netz von Rissen. Überall platzten kleine Stücke ab.
    »Sieht aus wie ein Typ im Schönheitssalon, dem die Gesichtspackung abblättert«, murmelte Orla.
    »Mich laust der Affe«, stieß Alan hervor. Die Doppelfinsternis – sie überschritt gerade ihr Maximum – interessierte ihn nicht länger. Nur sein Fotoapparat schoss weiter ein Himmelsbild nach dem anderen. Unterdessen bröckelten im näheren Umkreis Dutzende von Moais. Hier erschien ein Haarschopf, dort Haut oder weißes Tuch.
    »Komm!«, sagte Orla. Sie griff nach der Hand ihres Freundes und zog ihn auf den Wächter zu, bei dem die Verwandlung angefangen hatte.
    »Sollten wir nicht etwas Abstand halten«, gab Leo zu bedenken, während er hinter ihr herstolperte.
    »Wozu? Die Siebzig waren für ihre Weisheit und Friedfertigkeit bekannt.«
    »So wie ihr Primus Refi Zul meinst du?«
    »Wir haben keine Zeit zum Zaudern, Leo. Sobald die Wächter uns gesagt haben, wie wir Zuls Bann brechen können, müssen wir nach Salem zurückkehren. Wenn du deinen Kometen nicht rechtzeitig auflöst, killt er die Erde in weniger als fünf Stunden.«
    Das stimmte allerdings.
    Plötzlich sprangen große Stücke des vulkanischen Gesteins von der Figur und ein hochgewachsener Mann kam darunter zum Vorschein. Er hatte graue Haare und einen dichten Vollbart. Seine Augen waren geschlossen, während er langsam die Arme abspreizte und das Gesicht der Doppelfinsternis zuwandte. Er trug ein langes weißes Gewand mit einer auffallend
breiten Bauchbinde aus blauem Stoff. Sein Schädel und der ganze Körperbau waren ähnlich grobschlächtig wie bei Refi Zul.
    Orla blieb vor dem Entsteinerten stehen, machte eine tiefe Verbeugung und sagte: »Iorana.«
    Leo ahnte, dass sie den Wächter willkommen hieß, verstehen konnte er ihren Gruß allerdings nicht.
    Der Bärtige senkte den Blick. Seine dunklen Augen musterten den Jungen und das Mädchen aus einem Gesicht, das noch zu großen Teilen aus Stein zu bestehen schien. Auch seine Stimme hörte sich an, als rollten Felsbrocken einen Hang herab. »Komao a.«
    »Was hat er gesagt?«, flüsterte Leo aufgeregt.
    »Er hat meinen Gruß erwidert. Im alten Dialekt.«
    »Frag, wie er heißt.«
    Sie blitzte ihn an. »Führe ich hier das Gespräch oder du?«
    »Entschuldige.«
    Orla wandte sich wieder dem Wächter zu, neigte abermals ihr Haupt und stellte sich vor.
    »Mein Name ist Tangata«, übersetzte sie die Antwort des Bärtigen. »Ich bin der Zweite im Reich der Siebzig. Wer ist der vorlaute Junge an deiner Seite und der Mann?« Mit Letzterem meinte er den Astronomen, der sich gerade zu ihnen gesellte.
    »Der Ältere ist Alan, ein Sternenkundiger«, erklärte Orla. Ihre deutende Hand wechselte zum jüngeren Begleiter. »Und das ist Leo Löwengleich, ein mächtiger Traumwandler. Ihm verdankt Ihr Euer Erwachen aus dem jahrtausendelangen Schlaf.«
    »Einem Knaben?«, staunte Tangata.
    »Leo hat Refi Zul so weit geschwächt, dass wir ihn besiegen konnten. Der König von Illúsion schmachtet nun im Kerker von Inférnia.«
    »Wer ist

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