Das Geheimnis der versteinerten Traeume
Respektsbekundungen in früheren Zeiten zum guten Ton gehört hatten. Danach legte er den Kopf in den Nacken, um dem Drachen offen ins Gesicht zu sehen. »Ich bin Leo Löwengleich und die holde Maid an meiner Seite ist die Tochter des ehrenwerten Kretis, des Ersten Statthalters von Illúsion.«
»Holde Maid? Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank?«, zischte Orla hinter ihm.
»Vertrau mir«, flüsterte er.
»Kretis ist entmachtet«, fauchte das schuppige Ungetüm.
»Wer sagt das?«
»Der Wächter des großen Steins, der Hüter des Feuerwalds.«
»Wahrhaft beeindruckende Titel, wenn ich das bemerken darf.«
»Versuch gar nicht erst dich einzuschmeicheln. Ihr zwei werdet sowieso gleich eingeäschert.«
»Schade. Ich hätte den Aufpasser gerne kennengelernt und erfahren, wie er heißt.«
»Ich bin der Hüter«, dröhnte der Drache. Er ließ sich auf seine Vorderbeine sinken, wodurch er den beiden Störenfrieden gefährlich nahe kam, und feuerte im wahrsten Sinne des Wortes seinen Namen auf sie ab. »Gigantolos!«
Zwei Flammenspeere schossen auf die scheinbar wehrlosen Menschen zu. Orla schrie. Sie ahnte nicht, dass ihr Freund für diesen Fall Vorsorge getroffen hat. Wenige Schritte vor ihnen traf das Drachenfeuer auf ein unsichtbares Hindernis und fauchte nach allen Seiten davon.
Leo hatte seit dem Erscheinen des Ungetüms mit einem hitzigen Angriff gerechnet und von da an die Traumenergie in die feuchte Meerluft gelenkt, um ein Heer winziger Verteidiger um sich und Orla zu scharen – die Luft war schwer geworden von Abermillionen feiner Wassertröpfchen. Nun hatte er den Nebelschleier blitzschnell zusammengezogen und daraus einen massiven Eisschild geformt. Keinen Augenblick zu früh.
Heftiger als befürchtet umtosten die Flammen ihn und das Mädchen. Die Eisbarriere schmolz rasend schnell. Jeden Moment konnte der Feuersturm sie ganz auflösen.
Unvermittelt ging der Bestie die Puste aus. Ein letzter Schwall ihres glühenden Atems wehte über die Menschen hinweg. Dann erlitt der Drache einen Hustenanfall.
Leo rang nach Luft. Sie roch nach verfaulten Eiern. Rasch löste er den Eispanzer auf, um das Ungetüm nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Mit seiner formenden Kraft umschloss er die Dampfwolke und begann gleich mit dem Einsammeln weiterer Tröpfchen, um notfalls sofort einen neuen Schild zu
bilden. Am liebsten hätte er mit dem Wasser seinen ausgedörrten Rachen benetzt – die Hitze hatte ihn durstig gemacht. Er räusperte sich.
»Was haben wir Euch getan, Gigantolos, dass Ihr so zornig seid?«
»Mir?«, hustete der Drache. »Gar nichts.«
»Und wieso versucht Ihr uns dann umzubringen?«
»Ich bin der Wächter des großen Steins.«
»Das gibt Euch noch lange nicht das Recht, arglose Wanderer so mir nichts, dir nichts einzuäschern. Ihr solltet Euch schämen.«
Der Drache setzte sich auf seine Hinterbeine, musterte die Menschenkinder unschlüssig und kratzte sich die rote Mähne. Er wirkte verwirrt. Wahrscheinlich hatte bisher keiner so mit ihm geredet.
»Seid Ihr krank?«, fragte Leo mitfühlend.
»Mir bekommt das Klima nicht«, röchelte Gigantolos.
»Das tut mir leid. Ihr solltet Euch warm halten.«
Der Drache wischte mit einer seiner Vorderklauen missmutig durch die Luft. »Das sagt sich so leicht. Der Vulkan hat seit Urzeiten kein Feuer mehr gespuckt, hier oben zieht’s ständig und ich bin ziemlich anfällig für Erkältungen.«
»Völlig inakzeptable Arbeitsbedingungen, wenn Ihr mich fragt.«
»Der König will, dass ich auf sein Traumtor aufpasse. Was soll man machen?«
»Schon mal daran gedacht, zu streiken?«
»Seine Majestät würde mich töten.«
Leo lächelte listig. »Nur, wenn er Euch findet. Ihr seid ein Riesengründrache, nicht wahr?«
»Woher weißt du das?«
»Ich bin erst neulich einem begegnet.«
Gigantolos betrachtete den Jungen mit einer Mischung aus Argwohn und Neugier. »Willst mich wohl einlullen mit deinem Gesäusel. Es gibt nur mich allein auf der Welt. Refi Zul hat mich vor langer Zeit aus einem Traum erschaffen, damit ich über die Insel des großen Steins wache.«
»Ich spreche die Wahrheit«, beharrte Leo und berichtete dem Drachen von Gertrude.
»Und ich dachte, ich sei der Erste und Letzte meiner Art«, staunte Gigantolos.
Leo nickte mitfühlend. »Die Einsamkeit macht einen unleidlich. Wie wäre es, wenn Ihr zu Gertrude fliegt. Sie ist ziemlich hübsch – nach Drachenmaßstäben. Ihr könntet um ihre Hand anhalten und gemeinsam viele
Weitere Kostenlose Bücher