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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Nui kam ihm wie eine uneinnehmbare Festung vor.
    Ihm war übel vor Sorge um Benno. Vor etwa einer Stunde hatte er Orla überredet, ihre Spürwale auf die Fährte des Vermissten zu setzen. Bisher ohne Erfolg. Von ihm fehlte jedes Lebenszeichen.
    »Jetzt ist Schluss«, schimpfte das Mädchen. Die beiden Wale schwammen nebeneinander her. »Ich hab ihn gewarnt. Wir sind hergekommen, um Illúsion zu retten, nicht diesen Trottel.«
    »Du willst ihn so einfach aufgeben?«, erwiderte Leo entsetzt.
    »Es hat keinen Zweck. Atnam und Batoi können ihn nicht wittern.«
    »Aber er ist unsinkbar.«
    »Die Heulboje hätte sich längst bemerkbar gemacht, wenn sie das wollte.«
    »Vielleicht treibt er bewusstlos auf dem Meer. Die See könnte ihn gegen die Klippen geschleudert haben.«

    »Dann wäre er nur noch Matsch.«
    »Du bist grausam, Orla.«
    »Nein, nur realistisch. Selbst in Illúsion sind nicht alle Träume angenehm, Leo.«
    Ihre kaltherzige Sturheit kam ihm wie Verrat vor. Irgendwie verstand er ja ihre Verbitterung. Refi Zul hatte ihre Eltern ermordet. Rechtfertigte das aber die Abkehr von jeglichem Mitgefühl? Leo verspürte auf einmal Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns. Womöglich ließ er sich von Orla in einen selbstzerstörerischen Rachefeldzug hineinziehen. Leider konnte er sie nicht zwingen, die Suche nach Benno fortzusetzen. Die Spürwale gehorchten nur ihr. Und die Tiere hatten soeben die Richtung geändert.

W ährend Atnam und Batoi dem Küstenverlauf nach Norden folgten, beruhigte sich der Sturm. Nur ab und zu wirbelten noch Windböen die Gischt des Chaos empor. Mit einem Mal riss der Himmel auf und der Mond erschien. Wie ein halbierter Camembert hing er über dem Ort, an dem Refi Zuls Macht am größten war.
    »Da vorne können wir an Land gehen«, sagte Orla. Sie deutete auf eine Stelle, wo das Ufer flach und weniger zerklüftet war. Ihre Stimme klang fest, so als kenne sie keine Furcht. Leo fehlte dieses Vertrauen. Er litt unter dem Verlust seines Freundes.
    Die Wale setzten ihre Reiter dicht vor dem steinigen Strand ab. Orla bedankte sich bei ihnen und bat sie, noch eine Weile in Rufweite zu bleiben; sie habe ihr Trompetenrohr beim Kentern des Bootes verloren. Nicht zum ersten Mal wunderte sich Leo, dass sie mit den Tieren wie mit Menschen sprach.
    »Können die Spürwale dich wirklich verstehen?«, fragte er sie, während sie Seite an Seite zum felsigen Ufer wateten. Er war erleichtert, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Eine Windbö hüllte sie in nebelfeine Gischt.
    »Ich bilde es mir zumindest ein. Die Tiere…« Orla verstummte. Ihr Blick war auf eine Stelle oberhalb des steinigen Strandes gerichtet.

    »Was?«, flüsterte er. Hatte sie jemanden bemerkt?
    Das Mädchen deutete auf eine Ansammlung aufgeschichteter Felsbrocken: »Ich glaube, ich weiß genau, wo wir sind. Dalmud hat mir von diesem Ort erzählt. Komm mit!«
    Sie halfen sich gegenseitig die Böschung hinauf. Der Haufen entpuppte sich aus der Nähe als Steinkreis. Bei genauerer Betrachtung hielt ihn Leo für die Eingrenzung einer Kultstätte. Die vulkanischen Brocken umschlossen einen Sandplatz, in dessen Mitte ein etwa kniehoher runder Stein lag. Eigentlich sah er eher wie ein großes Ei aus, weil er teilweise in der Erde lag und dadurch flacher als breit war. Um ihn herum lagen vier kleinere Steine. »Sieht aus wie die Fünf auf einem Würfel«, murmelte er.
    »Das ist Te Pito o te Henua  – ›der Nabel der Welt‹.«
    »Ich sehe nur ein großes und vier kleine Eier.«
    »Den Illúsiern ist dieser Ort heilig. Seltsam, dass Atnam und Batoi uns genau hier an Land gesetzt haben. So als wollten sie uns damit etwas mitteilen.
    »Sicher nur Zufall. Was sollen die Steine uns schon sagen?«
    »Meine Freunde sind Spürwale. Sie fühlen, wohin es uns zieht.«
    »Also, ich weiß ja nicht, was du so empfindest, aber für mich ist dieser Ort nicht sonderlich attraktiv.«
    Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht hast du recht.«
    »Und wie geht’s jetzt weiter?«
    Sie deutete nach links. »Das ist Puakatike, der Vulkan, auf dem Refi Zul als steinerne Statue jahrhundertelang geschlafen hat.« Besagter Berg war dicht mit Bäumen bewachsen und wirkte im ersten Morgengrauen eher wie eine Anhöhe.
    »Hab ich mir irgendwie gewaltiger vorgestellt.«
    »Die Bergflanken steigen sehr sanft an. Das lässt ihn flacher erscheinen.«

    Nach etwa einem Kilometer hatten sie den Wald fast erreicht. Bald würde die Sonne aufgehen. Der Duft von

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