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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Eukalyptus lag in der Luft. Leo spürte die zunehmende Steigung bereits in den Oberschenkeln. Das Geräusch einer starken Brise ließ ihn aufblicken.
    Die Windwalze rollte von Osten über den Puakatike hinweg. Die Baumwipfel wogten wie ein Meer im Sturm. Plötzlich erschien ein grasbewachsener Hang vor Leos Augen. Eine Fata Morgana? Das Bild eines kahlen Berges flackerte ein paar Mal auf wie eine nächtliche Landschaft in einem Gewitter. Dann flaute die Bö auch schon wieder ab und die Trugbilder verschwanden.
    »Hast du das gesehen?«, keuchte er und deutete aufgeregt zum Wald.
    Orla nickte. »Genau, wie es der gute Dalmud beschrieben hat.«
    Leo erinnerte sich. Auf Rapa Nui sind sich Illúsion und die übrige Welt ganz nahe , hatte der Alte gesagt . Ich nehme an, die Insel existiert hier wie dort, nur jeweils mit einem anderen Gesicht. Leo drehte sich um und ließ seinen Blick über die hügelige Waldlandschaft schweifen. Abermals wirbelte eine Brise das Gefüge der beiden Rapa Nuis durcheinander und brachte die flimmernden Bilder eines kahlen Eilandes zum Vorschein. Zur Rechten blitzten wuchtige Schemen auf, reglos standen sie an der Küste. Es waren kolossale Köpfe aus Stein, kantig und vom Seewind verwittert. Manche ragten aufrecht und stolz mehrere Meter auf, andere duckten sich schief in das Land, so als seien sie vor Scham im Boden versunken.
    »Die versteinerten Wächter«, sagte Orla, als die Figuren längst wieder verschwunden waren.
    »Wenn ich deinen Ziehvater richtig verstanden habe, sind sie der Widerschein der sichtbaren Welt.«

    »Das kommt auf den Blickwinkel an. Für uns Illúsier sind sie das Echo einer unsichtbaren Wirklichkeit.«
    »Ich könnte schwören, die Figuren schon mal gesehen zu haben.«
    Orla nickte. »Man nennt sie Moais. Die meisten sind nur Nachbildungen der Uralten. Ursprünglich gab es mehr als tausend Statuen auf der Osterinsel …«
    »Wir sind auf der Osterinsel? Die gehört doch zu Chile«, unterbrach Leo sie überrascht. Er kannte die geheimnisumwitterte Pazifikinsel von Fotos und aus dem Fernsehen.
    »Für uns Illúsier ist das hier der Mittelpunkt der Welt«, betonte Orla mit einer raumgreifenden Geste. »Der Anfang von allem. Die Osterinsel oder Isla de Pascua kennen die wenigsten von uns. Sogar ich habe lange gebraucht, die beiden Orte miteinander in Deckung zu bringen. Können wir jetzt weitergehen?«
    Er nickte und stapfte gedankenverloren hinter ihr her. Sein Verstand hatte das Reich der ungeträumten Träume und die eigene Wirklichkeit bisher säuberlich voneinander getrennt. Nun war diese Mauer gefallen. Er hatte gleichsam die Brücke zwischen Illúsion und der Menschenwelt gesehen. Irgendwie unheimlich. Um diesen Eindruck zu verkraften, brauchte er ungefähr einen weiteren Kilometer.
    Unterdessen führte ihn das Mädchen immer tiefer in den Wald hinein, der so intensiv nach Hustenbonbons roch. Aus den Wipfeln drang ein Flüstern zu ihnen herab, wenn der Wind die langen, schmalen Blätter streichelte. Unvermittelt zückte Orla ihr Schwert und Leo kam wieder zu sich.
    »Was ist?«
    »Da war ein Geräusch«, flüsterte sie.
    »Der Wald ist voller Geräusche.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es war ein dunkler Laut. So tief, dass
man ihn kaum hören konnte. Ich hab’s mehr gespürt. Hier.« Sie deutete auf ihren Bauch.
    »Dann sollten wir Augen und Ohren offen halten.«
    Orla schnaubte. »Was meinst du, was ich die ganze Zeit gemacht habe?«
    »Entschuldige. Du bist reichlich gereizt heute.«
    »Wundert dich das? Das Haus des Rates mit der letzten Traumquelle kann nicht mehr weit sein. Dort hat die Sonne den versteinerten Refi Zul aus dem Schlaf aufgeweckt. Für den König ist das ein magischer Ort. Kaum anzunehmen, dass er ihn unbewacht lässt.«
    Leo schluckte. »Ich hab’s kapiert. Was schlägst du vor?«
    »Augen und Ohren offen halten.«
    Er zog eine Grimasse. »Unheimlich komisch.«
    »Auch du «, betonte sie . »Und vertrau bitte ein einziges Mal dir selbst. Es könnte sein, dass deine Macht bald gefordert ist.« Sie deutete mit dem Schwert Ariki den Berg hinauf. »Da geht’s lang.«
    Nach ein paar hundert Schritten lichtete sich der Wald und hörte schließlich ganz auf. Die zwei marschierten auf einen Hang aus verkohlter Erde hinaus, der keinerlei Deckung bot. Ein Stück höher war der Kraterrand zu sehen.
    »Kannst du dir das erklären?«, fragte Leo leise und zeigte auf den aschebedeckten Boden.
    »Ich schätze, wir sind jetzt in der Todeszone.«
    »Ach

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