Das Geheimnis der versteinerten Traeume
Im Schlaf.«
»Oh! Das kommt meinen Vorstellungen schon ziemlich nahe.«
»Welchen Vorstellungen?«, brummte Leo.
»Ich denke, du könntest eine besonders seltene Begabung für
etwas haben, das weit übers Klarträumen hinausgeht. Robert Zaki scheut weder Kosten noch Mühen solche außergewöhnlichen Talente zu finden und zu fördern. Die Traumakademie würde sämtliche Auslagen für dich übernehmen, sogar eine Bahnfahrkarte erster Klasse wird bezahlt. Nur müssten du und deine Eltern sich schnell entscheiden. Auch in Baden-Württemberg fängt das neue Schuljahr bald an.«
Severinas Mutterstolz schlug in Besorgtheit um. »Ich fürchte, da verlangen Sie etwas Unmögliches, Doktor Dabelstein. Das Jugendgericht hat eine einstweilige Anordnung erlassen – ich glaube, so nennt man das. Leo darf Hamburg nicht verlassen und muss sich in psychiatrische Behandlung begeben. Eigentlich hätte er bis zur endgültigen Klärung seines Falls sogar in die geschlossene Abteilung des Klinikums Nord in Ochsenzoll eingewiesen werden sollen. Der Anwalt hat das gerade noch abwenden können.«
Dabelstein wischte mit seiner Gabel durch die Luft und schleuderte dabei ein Kuchenstück in Richtung Nachbartisch. »Was die Scherereien mit dem Gericht angeht, machen Sie sich mal keine Sorgen. Robert Zakis Rechtsanwälte sind die besten, die man für Geld bekommen kann. Außerdem ist die Traumakademie eine staatlich anerkannte Therapieeinrichtung. Wir können die meisten Auflagen also auch in Salem erfüllen. Bei uns enden die Sommerferien einen Monat später als hier in Hamburg. Bis dahin sollten wir alle Hürden aus dem Weg geräumt haben.«
»Hauptsache, ich lande nicht in der Klapsmühle«, sagte Leo. Soweit er verstanden hatte, war er nicht geisteskrank. Trotzdem stimmte etwas nicht mit ihm. Er war nicht normal. Insofern gab es für ihn auch keinen Grund zum Jubeln. Die Aussicht, eines Tages zu den Freaks zu gehören, die bei YourDream Designerträume entwarfen, war dennoch verlockend.
»Dann würdest du in die Traumakademie kommen?«, vergewisserte sich Dabelstein.
Leo nickte.
»Und was sagen Sie dazu?«, fragte er Severina.
»Ich wusste schon immer, dass mein Sohn besonders begabt ist. Mir wäre es durchaus recht, ihm die nötige Förderung zu ermöglichen.«
»Schwingt in Ihrem Ja ein Aber mit?«
»Sie haben eben eine ›seltene Begabung‹ des Jungen erwähnt. Worum genau handelt es sich dabei?«
»Das ist kompliziert.«
»Ich besitze ein Diplom in Ökologie und Umweltschutz.«
»Was sich in diesem Fall eher als hinderlich erweisen könnte. Wussten Sie, dass die Psychologie von vielen lange als reine Geisteswissenschaft angesehen wurde?«
»Ich begreife nicht, was das mit meiner Frage zu tun hat.«
»Eine Menge. Geisteswissenschaftler werden von Naturwissenschaftlern oft belächelt. Letztere sind gewöhnlich Anhänger des Materialismus, den sie als unumstößliches Gesetz ansehen.«
»Und was ist er tatsächlich?«, fragte Leo.
»Deine Neugier gefällt mir. Der Materialismus ist eine philosophische Lehre. Manche sagen sogar, er sei eine Religion ohne Gott. Ihm zufolge ist die ganze Wirklichkeit – der Geist und das Denken eingeschlossen – ausschließlich auf die Kräfte oder Bedingungen der Materie zurückzuführen.«
»Das dachte ich auch.«
»Vermutlich hast du nie etwas anderes gelernt. Mich fasziniert der menschliche Geist, gerade weil er nur bedingt mess-und wiegbar ist. Wir verstehen noch immer nur einen kleinen Teil von dem, was unser Gehirn zur komplexesten Struktur des
Universums macht. Ich wäre nicht überrascht, wenn wir eines Tages eine immaterielle Komponente des Geistes fänden.«
»Sie meinen die unsterbliche Seele?«, fragte Severina mit spöttischem Unterton.
»Das ist ein Konzept, mit dem ich nichts anzufangen vermag. Ich denke eher an Dinge wie Fantasie, Kreativität und Schlafverwandlung – die seltene Begabung, die ich bei Leo vermute. Sie könnte der Schlüssel zum besseren Verständnis unserer unstofflichen Seite sein.« Dabelstein lächelte. Zum ersten Mal sah er verlegen aus. »Ich habe schon mehr gesagt, als ich eigentlich wollte. Wahrscheinlich halten Sie mich jetzt für einen Scharlatan.«
»Schlafverwandlung?«, wiederholte Leos Mutter nur. »Davon habe ich noch nie gehört. Was soll das sein?«
Er beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ich möchte nichts verheimlichen, Frau Leonidas, was an sich keiner Geheimhaltung bedarf. Mir erscheint es nur vernünftiger, das Thema
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